Zivilisatorische Perspektive erhalten
Matthias Koderhold über Klimakrise und Klasse.
Auch wenn nicht die einzige Umweltkrise ist die Klimakrise die dringlichste, denn sie stellt eine existenzielle Bedrohung für Mensch und Natur dar und die Zeit zu handeln ist begrenzt.
Werden erst einmal Kipp-Punkte überschritten, sind abrupte Veränderungen des globalen Klimasystems die Folge, die qualitativ neue, unumkehrbare Zustände hervorrufen. Die Überhitzung unseres Planeten würde damit zum Selbstläufer. Ohne andere Krisenerscheinungen beiseite zu schieben, müssen soziale und ökologische Krisenerscheinungen gemeinsam gedacht und gelöst werden.
Verbundene Krisen
Wechselwirkungen zwischen Klima- und anderen Umweltkrisen sind ebenso offenkundig, wie jene mit sozialen und humanitären Krisen. So verschärfen Brandrodungen den Klimawandel, in Brasilien in Zusammenhang mit dem EU-Mercosur-Handelsabkommen. Dem Klimawandel folgen Hunger, Konflikte und Migrationsbewegungen. Seit 2008 sind jährlich rund 22 Millionen Menschen wetter- und klimabedingt zur Migration gezwungen.
Mit Extremereignissen wie Hitzewellen, Dürren, Starkregen, Überschwemmungen oder Stürmen wird diese Zahl stark steigen. Vom Anstieg des Meeresspiegels werden zunächst Tropeninseln und niedriger gelegene Küstenregionen betroffen sein. Kippt das westantarktische Eisschild jedoch auch Millionenstädte wie Hamburg, Shanghai, Kalkutta, New York oder Tokio. In Afrika sind Klimaveränderungen infolge veränderter Niederschlagsmuster und landwirtschaftlicher Jahreszeiten, Dürren und Überschwemmungen schon heute Hauptursachen steigender Hungersnöte, Konflikte und wirtschaftlicher Rückschritte.
Schnelle weitreichende Senkungen der Treibhausgasemissionen und „Netto-Null-Emissionen“ sind notwendig, um die Erderwärmung auf plus 1,5 Grad Celsius zu beschränken, um den drohenden Klimaumbruch zu verhindern sowie die ökologischen, sozialen und humanitären Folgen des Klimawandels einzudämmen. Bei gegenwärtigem Emissionsniveau bleiben nur etwa sieben Jahre bis das 1,5°C-Ziel endgültig verfehlt ist.
Steigende Kosten
Die ökologischen und sozialen Kosten von anhaltender Untätigkeit steigen mit jeder Verzögerung. Je länger mit Reduktionsmaßnahmen zugewartet wird, desto drastischer müssen die folgenden Einschnitte sein, desto unrealistischer wird die Erreichung des 1,5°C-Ziels und die Verhinderung einer Überschreitung von Kipppunkten.
Beim Klimawandel stellt sich das Problem räumlicher und zeitlicher Entkoppelung zwischen menschlichem Handeln und Reaktionen des globalen Klimasystems – das macht ihn schwerer greifbar. Vom Menschen verursachte Treibhausgasemissionen wirken zeitlich versetzt. Von Überhitzung, Hunger und klimabedingten Konflikten sind zunächst jene Menschen betroffen, die den geringsten Anteil an Treibhausgasen verursachen: Die ärmsten 50 Prozent der Menschheit verursachen gerade einmal um die zehn Prozent der konsumbasierten Emissionen, sie werden von der Klimakrise jedoch am stärksten betroffen sein.
Der Anteil an Treibhausgasemissionen des globalen Südens ist gering. Gegensätzlich verhalten sich sowohl das historische als auch das gegenwärtige konsumbasierte Emissionsniveau des globalen Nordens. Ein wesentlicher Anteil jener produktionsbasierten Treibhausgasemissionen, die im globalen Süden entstehen, dienen Konsumzwecken im globalen Norden.
So verkonsumiert das oberste Prozent in den USA pro Kopf das Fünfzigfache des weltweiten Durchschnitts an Treibhausgasemissionen, bzw. das 250-fache der ökologisch verträglichen Netto-Null-Emissionen (Ausführlicher auf: www.komintern.at/klimakrise-und-klimapolitik-too-little-too-late).
Die Emissionsniveaus müssen vor allem in den kapitalistischen Zentren deutlich gesenkt werden, um den drohenden Klimaumbruch abzuwenden. Selbst bei den ärmsten zehn Prozent der Österreicher*innen liegt das Emissionsniveau um das vier- bis sechsfache über den ökologisch verträglichen.
Soziales Problem
Klimaschutz ist keine rein ökologische, sondern auch eine soziale und gesellschaftspolitische Problemstellung, denn die durch quantitative Wachstumsorientierung verursachte Überschreitung planetarer Grenzen gefährdet mit der Stabilität der Ökosysteme auch die Lebensgrundlagen der Menschheit. Die Überschreitung planetarer Grenzen ist tief in der kapitalistischen Produktionsweise, dem Drang nach Kapitalverwertung und Profiterzielung verankert, sowie damit einhergehendem Wachstumszwang, nationalem und globalem Wettbewerb sowie der imperialistischen Aufteilung und Ausbeutung der Welt.
Allgemein gesprochen heißt die Klimakrise verhindern, zivilisatorische Menschheitsperspektiven zu erhalten. Konkret heruntergebrochen, dass der Kampf gegen die Klimakrise auch ein sozialer ist: Unter anderem um die Finanzierung der Zukunftsinvestitionen und Klimaschutzmaßnahmen, um den sozial verträglichen Um- und Abbau klimaschädlicher Sektoren sowie darum, ein abermaliges Ausspielen von Arbeitsplätzen gegen Umwelt zu verhindern und stattdessen eine ökologisch und sozial lebenswerte Welt für alle zu erkämpfen!
Matthias Koderhold ist Mitarbeiter der Arbeiterkammer Niederösterreich