Warum der Kollektivvertrag wichtig ist
Für 98 Prozent aller lohnabhängig Beschäftigten gilt in Österreich ein Kollektivvertrag (KV), damit steht Österreich europaweit an der Spitze. Allerdings ist diese hohe Tarifabdeckung auf über 900 Kollektivverträge aufgesplittert. In der Regel gilt ein KV für eine ganze Branche, teilweise gelten Kollektivverträge aber nur für einzelne Bundesländer, manchmal sogar nur für einzelne Betriebe. Nur für einige wenige Branchen gilt kein Kollektivvertrag, etwa Rechtsanwaltsanwärter, Freizeit- oder Vergnügungsbetriebe.
Die Gewerkschaften schließen bei den Lohn- bzw. Gehaltsverhandlungen mit der zuständigen Unternehmervertretungen (Fachverbände, Innungen etc.) der Wirtschaftskammer jährlich rund 450 Kollektivverträge neu ab. Die Laufzeit beträgt in der Regel zwölf Monate, in manchen Kollektivverträgen aber auch länger, was durch nicht vorhersehbare Entwicklungen – etwa eine hohe Teuerung – meist zum Nachteil der Beschäftigten ist.
Die (meist jährlich stattfindenden) KV-Verhandlungen folgen einem strengen Ritual: Im Vorfeld legen eine oder mehrere zuständige Gewerkschaften (oder deren Wirtschaftsbereiche) – gestützt auf Fakten der volkswirtschaftlichen Lage und Entwicklung – ihre Forderungen fest. Bei einer ersten Verhandlungsrunde präsentieren üblicherweise sowohl die Gewerkschaft als auch die Unternehmerseite ihre Vorstellungen, die bei einer weiteren Runde konkretisiert werden. Üblich sind Betriebsrät:innenkonferenzen zur Bekräftigung der Forderungen und ein medialer Schlagabtausch.
Kommt es dann noch zu keiner Einigung folgen Betriebsversammlungen und die Androhung von Streiks bzw. eine Streikfreigabe des ÖGB. Im internationalen Vergleich rangiert Österreich allerdings in der Streikstatistik ganz weit hinten, auch wenn in den letzten Jahren verschiedentlich punktuelle Lohnstreiks stattgefunden haben. Meist bleibt es freilich bei der Androhung und die Verhandlungspartner einigen sich ganz sozialpartnerschaftlich in einer dramaturgisch hochstilisierten nächtlichen Verhandlungsrunde auf ein Ergebnis – das dann von beiden Seiten als Erfolg gefeiert wird.
Verhandelt wird in der Regel nach sogenannten „Benya-Formel“, benannt nach dem ehemaligen ÖGB-Präsidenten Anton Benya. Diese Formel sieht eine Abgeltung der „rollierenden Inflation“ – gemeint ist die Teuerung der letzten zwölf Monate – sowie einen Anteil an der gestiegenen Produktivität vor. Ganz entgegen der jahrelang geübten Praxis stellte die Kapitalseite zuletzt diese inflationsbedingte Anhebung der Löhne und Gehälter in Frage und wärmte den Schmäh von der Lohn-Preis-Spirale wieder auf um von der davor erfolgten Ausweitung der Profite abzulenken. Und von einer vollen Abgeltung der Produktivität kann bei den meisten KV-Abschlüssen ohnehin nicht die Rede sein. Eine Urabstimmung der Betroffenen – wie etwa in Deutschland üblich – über den Abschluss ist nicht vorgesehen.
Verhandelt wird aber nicht nur über die fällige Lohn- bzw. Gehaltserhöhung. In den Kollektivverträgen sind darüber hinaus auch Zulagen, Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, branchenweise Arbeitszeitregelungen unterhalb der gesetzlich geregelten Arbeitszeit von der seit 1975 geltenden 40-Stundenwoche, Schutzbestimmungen bei Kündigung, Freizeitansprüche oder Weiterbildungsansprüche etc. enthalten – also zahlreiche Anliegen die gesetzlich nicht geregelt sind. Laut Arbeitsverfassungsgesetz muss der aktuelle Kollektivvertrag in jedem Betrieb zur Einsichtnahme aufliegen, worauf im gesetzlich vorgeschriebenen Dienstzettel hingewiesen werden muss.
Maßgeblich für erfolgreiche Verhandlungen und einen guten Abschluss ist eine möglichst hohe Organisierung, also die Anzahl der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten in der jeweiligen Branche. Daraus erklärt sich auch, warum in Branchen mit geringer Organisierung – etwa Handel (430.000 Beschäftigte), Sozialwirtschaft (130.000), Gastronomie (230.000), Reinigung etc. – die Einkommen im Vergleich zu Branchen mit hohem Organisierungsgrad – etwa Metall (200.000 Beschäftigte), öffentlicher Dienst (545.000) etc. – vergleichsweise niedrig sind.
Der Kollektivvertrag schafft gleiche Mindeststandards bei der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten einer Branche und soll verhindern, dass die die Lohnabhängigen zu deren Nachteil gegeneinander ausgespielt werden. Der KV schafft also ein größeres Machtgleichgewicht zwischen Beschäftigten und Unternehmer:innen und sorgt für gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen den Unternehmen einer Branche. Die kollektivvertraglichen Mindestbestimmungen gelten für alle Beschäftigten in der jeweiligen Branche, dadurch werden sie vor Ausbeutung und Lohndumping geschützt.
Da es in Österreich keinen gesetzlichen Mindestlohn gibt ist es Aufgabe der Gewerkschaften, rechtsgültige Mindestlöhne für die einzelnen Branchen auszuhandeln. gehandelt. Von der aktuellen Forderung des ÖGB für 2.000 Euro brutto bei einer 40-Stundenwoche sind zahlreiche Branchen noch deutlich entfernt.
Informationen über alle Kollektivverträge gibt es unter Kollektivvertrag oder KV-System oder KV-Datenbank