Vernünftiges Konzept

Die „Wertschöpfungsabgabe“ steht seit Beginn der 1980er Jahre – als SPÖ-Sozialminister Dallinger einen Gesetzentwurf vorlegte, der aber von der damaligen SPÖ-Alleinregierung nicht umgesetzt wurde – auf der sozialpolitischen Agenda.

Unsere Sozialversicherung (Arbeitslosen-, Unfall-, Kranken- und Pensionsversicherung und Familienlasten- und Insolvent-Entgelts-Fonds) basiert neben den Beiträgen der Lohnabhängigen auf Abgaben der Unternehmen, berechnet nach der Lohnsumme. Gemessen am Volkseinkommen – die Summe aus Löhnen und Gehältern auf der einen und Kapitaleinkommen (Gewinne, Zinsen, Dividenden, Mieteinnahmen) auf der anderen Seite – geht der Anteil der Löhne und Gehälter seit den 1970er Jahren tendenziell zurück.

Die Bemessungsgrundlage der Dienstgeberabgaben in die Sozialversicherung geht also trotz Beschäftigungszuwachs relativ zurück. Die Produktivitätsgewinne erhöhen überproportional die Kapitaleinkommen, die zusätzlich zu den Kapital- und Gewinnsteuersenkungen relativ immer weniger zur sozialen Sicherheit beitragen.

Auf den Mehrwert zugreifen

Marxistisch gesprochen: obwohl sich die Mehrwertmasse absolut und relativ zum Volkseinkommen ständig erhöht, trägt dieser Bestandteil des gesellschaftlichen Reichtums relativ immer weniger zur sozialen Sicherheit bei. Eine Wertschöpfungsabgabe, die hier eingreift, könnte eine Umverteilung von oben nach unten bewirken und es könnten alle Schichten der Bevölkerung – Arbeitende und Pensionist:innen- stärker an dem von ihnen erarbeiteten gesellschaftlichen Reichtum teilhaben.

Demnach wären alle Mehrwertbestandteile der Unternehmen und nicht nur die Lohnsumme zur Bemessung der Abgaben in die Sozialversicherung zu nutzen. Diese Mehrwertbestandteile sind der Gewinn, an die Banken und Versicherungen zu zahlende Zinsen und Prämien, Mieten, Pachten und Steuern. Dazu käme noch jener Teil der Abschreibungen, die nicht dem Kapitalerhalt dienen, sondern ausschließlich der Gewinnerhöhung. Die öffentliche Rechnungslegung der Unternehmen ist heute so organisiert, dass diese Komponenten eindeutig zu identifizieren sind.

Damit würde die tatsächliche Wertschöpfung herangezogen und nicht die Investitionen. Der monströse Vorwurf einer „Maschinensteuer“ greift also ins Leere. Das Stagnieren der Investitionen hat mit dem Finanzkapitalismus zu tun hat, mit dem Stagnieren der Masseneinkommen und der Austeritäts(Spar)politik. Eine Wertschöpfungsabgabe wäre also Bestandteil einer Wende in der Wirtschaftpolitik, die auch zur Einschränkung der Finanzinvestitionen und damit zu mehr Stabilität führen würde.

Aufkommensneutral?

Dieses Konzept spielt allerdings in der öffentlichen Diskussion keine Rolle. Den Interessenvertretungen der Wirtschaft und der Industrie geht es nicht um die Umverteilung von oben nach unten, sondern darum, wie die „Lohnnebenkosten“ zwecks Erhöhung der „Konkurrenzfähigkeit“ verringert werden können. AK und ÖGB akzeptieren dies zu oft unter dem Stichwort „Standortsicherung“.

Gemeint sind hauptsächlich die Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung. Die Unternehmen sollen also weniger in die Sozialversicherungs- töpfe einzahlen.

Die einfältigeren Klassenkämpfer von oben schreien: „Wir können uns den Sozialstaat (und insbesondere die Pensionen) nicht mehr leisten“, und „keine neuen Steuern“, womit natürlich auch die Wertschöpfungsabgabe gemeint ist. Die Klügeren wissen allerdings, dass eine Senkung der Dienstgeberabgaben kompensiert werden muss, um eine Senkung der Masseneinkommen und damit der Nachfrage zu vermeiden. Sie wollen die Wertschöpfungsabgabe „aufkommensneutral“ gestalten, damit die Kapitalseite insgesamt nicht stärker belastet wird. Etwa dadurch, dass personalintensive Betriebe weniger und kapitalintensive Betriebe stärker herangezogen würden. Aber selbst solche Modelle sind weit von einer Realisierung entfernt.

Beitrag zur Pensionsfinanzierung

Wertschöpfungsabgabe ist nicht Wertschöpfungsabgabe. Ihr tatsächlicher Inhalt hängt vom Klasseninhalt ab. In dem einen Fall ist sie Bestandteil einer Politik der Umverteilung von oben nach unten, im anderen dient sie in erster Linie der „Wettbewerbsfähigkeit“ und hat mit der Sicherung der Finanzierung des Sozial- staats wenig zu tun.

Würden die Dienstgeberbeiträge zur Pensionsversicherung auf Wertschöpfungsbasis umgestellt, würde deren Finanzierungsbasis erweitert, mit der Wertschöpfung mitwachsen und den Auswirkungen der Alterung der Bevölkerung entgegenwirken. Also auch hier ein Umverteilungseffekt. Die Staatszuschüsse zur Pensionsversicherung werden aus Budgetmitteln finanziert, die wiederum zu 80 Prozent aus Massensteuern stammen. Wer also die wachsenden Zuschüsse zur Pensionsfinanzierung beklagt, muss für die Wertschöpfungsabgabe eintreten.

Michael Graber ist Volkswirt und Bundesobmann des ZVPÖ (Zentralverband der Pensionist:innen
Österreichs)

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