Umdenken fällt schwer
Michael Schmida über Auswirkungen von Corona auf den Verkehr
Wer glaubt, die Corona-Krise führt hierzulande zum Umdenken, hat sich getäuscht. Dort wo auch schon vor Corona ernsthaft an einer Umgestaltung vieler Gesellschaftsbereiche gearbeitet wurde, wo bereits ein neues Denken Einzug gehalten hat, wirkte die Pandemie aber als Beschleuniger für Veränderung.
Die Mailänder Stadtregierung hat nun kurzfristig im Corona-Lockdown 35 Kilometer Autofahrbahnen den Fahrradfahrer*innen und Fußgängern umgewidmet. New York tat dasselbe auf 160 Kilometern. Viele europäische Großstädte wie Paris, Barcelona, Kopenhagen oder Palermo befreien sich vom Autoverkehr.
Hier aber war man auch schon vor der Krise von einer Kurskorrektur oder sogar Wende in so vielen Bereichen des Lebens und Politik, von der Wirtschaft und Arbeit über Verkehr bis hin zum Klima, meilenweit entfernt.
Entschleunigung
Hier verursacht nun die Pandemie gerade eine Entschleunigung an Veränderung und alte Rezepte werden nun mit aller Macht fortgesetzt. Kapitalistische Normalität plus Wachstum um jeden Preis ist die Devise. Zaghafte Versuche, etwa das Auto in Wien zurückzudrängen und zusätzliche Fahrradwege zu errichten, werden medial und vom politischen Gegner scharf attackiert. Und sogar in Graz will man von einer autofreien Innenstadt nichts wissen.
Neben weniger Lärm und Abgase im Straßenverkehr ging auch der Flugverkehr durch die gesetzten Corona-Maßnahmen drastisch zurück. Nun kann es aber nicht schnell genug gehen und nach den Lockerungen will die Luftfahrtindustrie wieder mindestens dorthin zurück, wo sie vor Corona war.
Im Krisenjahr 2008 gab es noch 706 Millionen Flugpassagiere in der EU. Im Vorjahr waren es schon mehr als 1.045 Millionen Passagiere. Außerdem sollen die finanziellen Ausfälle in der Corona-Zeit durch Staatsbeteiligungen, aber vor allem durch günsti- ges öffentliches Geld abgedeckt werden.
Kaputte Branche Luftfahrt
Dabei gibt es kaum „kaputtere“ Branchen wie die Luftfahrtindustrie. Auf Kosten von Mensch und Umwelt wird ein zerstörerischer Wettbewerb geführt. Wer die meiste staatliche Förderung einsackt, die niedrigsten Löhne zahlt und damit preiswertesten Flüge anbietet, gewinnt. Nun soll Corona-bedingt wieder Steuergeld dazu verwendet werden, um Arbeits- und Flugplätze zu retten. Aktuell fordern Fluglinien allein in der EU fast 13 Milliarden Euro an Staatshilfen.
In Österreich erhält die Lufthansa-Tochter AUA 450 Millionen Euro, plus zwei weitere Jahre Kurzarbeit. 150 Millionen Euro Steuergeld überweist die Republik an den Lufthansa-Konzern – ohne Rückzahlung. Zusätzlich kümmert sich Österreich noch bis 2022 um die AUA-Gehälter – denn solange kann die Fluglinie Kurzarbeit nutzen. Dazu kommen 300 Millionen Euro Kredite von der Ersten Bank und der Raiffeisen Bank, wobei zu 90 Prozent die Republik haftet.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Republik der AUA kräftig unter die Arme greift. Im Jahr 2009 wurde die AUA an den deutschen Lufthansa-Konzern verkauft und privatisiert. Damals zahlte die Lufthansa 366.000 Euro, zugleich übertrug man 500 Millionen Euro Schulden an den Staat Österreich.
Während Deutschland und die Schweiz bei ihren Fluglinien-Rettungen eine direkte Beteiligung ausverhandelt haben und zumindest prinzipiell in der Lage sind umwelt- und sozialpolitische Ziele umzusetzen, gibt es in Österreich nur vage Zusagen. Sämtliche Zusagen – vom Drehkreuz bis zur Umwelt – der Lufthansa (einschließlich Pönale) sind mangels internationalen Schiedsgerichts nicht durchsetzbar, klingen aber super.
Gewinne gesichert
„Sicher sind derzeit nur die Gewinne der LH-Aktionäre“, schreibt dazu der Volkswirt Stephan Schulmeister. So wird die AUA-Staatshilfe – trotz grüner Regierungsbeteiligung – nicht zur Konversion der Fluglinie und Reduktion der Vielfliegerei führen, sondern wie schon so oft, nur zur staatlichen Rettung eines weiteren wirtschaftlich angeschlagenen Unternehmens.
Traurig nur, dass es fast niemanden auffällt und der Protest gegen eine solche Politik auffällig gering ausfällt. Die Regierten stimmen weitgehend mit dem Kurs der Regierenden absichtlich oder einfach im täglichen Verhalten überein. So ging in Wien sogar Laudamotion-Flugpersonal gegen die Gewerkschaft und für das Unternehmen und dem Ansinnen, niedrige Löhne unter der Armutsgrenze zahlen zu wollen, auf die Straße. Und viele von uns warten schon wieder auf den nächsten Billig-Flug ins nächste Urlaubsparadies.
Flug zum Ballermann
Der Markt hat da für jeden etwas: Vom Ballermann-Touristen (geht zwar gerade nicht wegen des Virus) bis hin zum alternativen Individual-Reisenden. Trotzdem muss man überhaupt die Zeit haben und sich Urlaubsreisen auch leisten können, denn nicht nur Flug sondern auch Aufenthalt kosten was. Ein Sechstel der österreichischen Bevölkerung fliegt mehrmals im Jahr. Ein Drittel der Bevölkerung fliegt gar nicht und die Hälfte einmal im Jahr oder seltener.
Aber die imperiale Lebensweise ist doch klassenübergreifend und umfasst die unterschiedlichen politischen und sozialen Milieus. Wenn sie schon nicht exzessiv gelebt werden kann ist sie doch auch der Erfüllungstraum der finanziell Abgehängten. Auch ein Grund, warum ein Umdenken insgesamt so schwerfällt.
Michael Schmida ist Lehrer und Personalvertreter an der HTL Traun und wohnt in Linz