Sechs linke Anträge gestellt
Für eine neue und breitere Finanzierung des Solidarstaates machte sich bei der 2. Vollversammlung der AK-Niederösterreich Präsident Markus Wieser (FSG) stark. Konkret plädierte er dafür, die gesamte Wertschöpfung als Beitragsgrundlage heranzuziehen. Dazu wurde die Resolution „Finanzierung des Solidarstaats auf neue und breitere Beine zu stellen“ einstimmig beschlossen.
Ebenfalls verwies der Präsident auf das hohe Vertrauen in die Arbeiterkammer. Sie rangiert mit 58 Prozent unter den TOP5 im APA/OGM-Vertrauensindex, was für Wieser „ein großes Lob für unsere Arbeit, andererseits aber auch der Auftrag und die Verpflichtung, nicht müde zu werden, für die arbeitende Bevölkerung in Österreich immer da zu sein und ihre Interessen entschlossen und erfolgreich zu vertreten“ ist.
Gefordert wurde die Ausrichtung der aktuellen Gesundheitsreform (NÖ Gesundheitsakt) mit den Interessenvertreter:innen der Gesundheitsberufe und der Versicherten zu diskutieren und die Umsetzung der Gesundheitsreform nicht weiter aufzuschieben. Ebenfalls wurde mit Verweis auf die Auswertung der AK-Schulkostenstudie 2023/24 – der zufolge niederösterreichische Familien pro Schuljahr im Schnitt 3.268 Euro für den Schulbesuch ihrer Kinder ausgeben und die Kosten für den Schulbesuch seit der letzten Erhebung 2021 um 48 Prozent gestiegen sind – eine Kostenbremse beim Schulbesuch gefordert.
Mehrheitlich wurden weiters Landesregierung und Landtag aufgefordert, einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz ab dem ersten Geburtstag einzuführen und bis zur tatsächlichen Umsetzung verbindliche Regelungen für die Platzvergabe in den öffentlichen Kindergärten und Tagesbetreuungseinrichtungen zu schaffen.
Aus der Sicht von AK-Rat Manuel Hochstöger war es eine sehr gelungene Versammlung mit einem guten Umgang mit den anderen Fraktionen. In Niederösterreich gibt es seit der letzten AK-Wahl ein Bündnis von KOMintern und GLB, welches zwei Mandate erreichen konnte. Bei der 2. Vollversammlung der neuen Funktionsperiode stellte die linke Liste sechs Anträge zu den nachfolgenden Themen: Streikrecht verteidigen! Nein zu Hochrüstung und Militarisierung – Ja zur Neutralität! (beide Anträge wurden abgelehnt), Keine weiteren Lohnnebenkostenkürzungen! Arbeitszeitverkürzung: Für eine Neuvermessung der Arbeit. Nein zu Belastungspaketen! Pensionen: In Würde alt werden! (diese vier Anträge wurden zu einer weiteren Überarbeitung zugewiesen.
Die Anträge im Wortlaut:
Antrag 1: Streikrecht verteidigen!
ZKW Lichtsysteme, Ardo Austria Frost oder Lieferando Lieferservice, um nur die bekanntesten Fälle der jüngsten Zeit zu nennen: Die Attacken auf das Streikrecht werden parallel zur partiell zunehmenden Intensität der Arbeitskämpfe auch in Österreich schärfer.
Dabei sind Streik und die Teilnahme an einem Streik in Österreich verfassungsrechtlich geschützt, es besteht rechtliche Streikfreiheit. Artikel 11 der Menschenrechtskonvention (EMKR) garantiert das Recht, Gewerkschaften zu bilden und Kampfmaßnahmen zu setzen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Entsprechend hat denn auch der Oberste Gerichtshof schon 1991 nochmals explizit entschieden, dass es zu den Wesensmerkmalen jeder Interessenvertretung (also natürlich auch der Gewerkschaften) gehört, auf eventuelle Auseinandersetzungen vorbereitet zu sein, „die allenfalls auch den Einsatz von Kampfmitteln notwendig machen können“. Anderenfalls würde sich Gewerkschaftspolitik weitgehend auf kollektives Betteln reduzieren. Entsprechend gewährleistet Art. 8 des Internationalen Paktes über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte seinerseits das Streikrecht denn auch ausdrücklich.
Nichtsdestotrotz wird mit der zunehmenden Erosion der sozialen Verhältnisse auch in Österreich die Gangart gegen die partiell an Intensität gewinnende gewerkschaftliche Kampfform des Streiks und sehr weitgehend verfasste Streikfreiheit in Österreich härter. Dazu werden – neben dem in Anschlagbringen juristischer Spitzfindigkeiten – auch gravierende Missdeutungen des österreichischen Streikrechts gesät und den Beschäftigten geradezu wüstenweise Sand in die Augen gestreut.
So zirkuliert denn auch hierzulande vielfach die irrtümliche Annahme, es gäbe – wie etwa in Deutschland – auch in Österreich formelle Voraussetzungen für einen Streik. Dahingehend wird teils sogar bis in die Gewerkschaftsapparate etwa angenommen, ein Streik brauche rechtlich etwa die Zustimmung des ÖGB, die sogenannte „Streikfreigabe“. Oder es wird angenommen, ein Streik müsse in Urabstimmungen durch die gesamte Belegschaft beschlossen werden. Manche meinen gar, es gäbe so etwas wie eine „Friedenspflicht“. Last but not least wird mancherorten auch angenommen, ein Streik könne wegen Unverhältnismäßigkeit gerichtlich untersagt werden.
Der große Vorteil der „Streik(fonds)freigabe“ durch den ÖGB besteht – neben der gewerkschaftspolitischen Kräftekonzentration – freilich darin, dass seine Mitglieder, für den Fall, dass der Arbeitgeber den Lohn streicht, mit finanzieller Streikunterstützung rechnen dürfen. Formelle Voraussetzung für Ausstände ist die „Freigabe“ indes nicht, obschon in der Praxis trotzdem sehr bedeutend.
Auch einer „Urabstimmung“ der Belegschaft oder eines formellen Beschlusses auf einer Betriebsversammlung, in den Streik zu treten, bedarf es in Österreich rechtlich nicht, wenngleich solche in der realen Praxis aus vielerlei Gründen zu begrüßen und erstrebenswert sind. Zwar wird die Frage, ob die Streikteilnahme nun auch offiziell Teil der Tagesordnung einer Betriebsversammlung (im Sinne der Belegschaftsversammlung des Arbeitsverfassungsgesetzes) sein darf, diskutiert. Aber selbst wenn man das problematisch sieht, dann endet die Betriebsversammlung an diesem Punkt und geht nahtlos in die Streikversammlung über. Ebenso wenig wie die eine oder andere Mär kennen wir in Österreich eine ausdrückliche Friedenspflicht. Wo sollte diese stehen?
Kann der Arbeitgeber zu guter Letzt gegen einen Streik klagen, weil er ihn für unverhältnismäßig hält? Nun, er kann es versuchen. Die Erfolgsaussichten sind dabei aber gering. Nachdem es keine Formalkriterien für einen Streik gibt, wäre es auch schwierig, die Verhältnismäßigkeit zu beurteilen. Es gibt schlicht kein rechtliches Instrument, um einen Streik zu unterbinden. Deswegen greifen Unternehmen, Industriellenvereinigung und politische Gegner der Arbeiterschaft und Gewerkschaftsbewegung immer öfter zu Fakenews, Einschüchterung und juristischen Druck. Dem müssen wir uns gemeinsam und konsequent entgegenstellen!
Deshalb beschließt die Vollversammlung der Arbeiterkammer Niederösterreich:
- Die Arbeiterkammer Niederösterreich tritt den sich häufenden Attacken auf die österreichische Streikfreiheit auf das Entschiedenste entgegen!
- Die Arbeiterkammer Niederösterreich beschließt eine Aufklärungsoffensive unter AK- und Gewerkschaftsfunktionär:innen, BR-Mitgliedern sowie AK- und Gewerkschaftsmitgliedern über das österreichischen Streikrecht und die Streikfreiheit im Land!
Antrag 2: Keine weiteren Lohnnebenkostenkürzungen!
Die Gefahr einer neuerlichen, weiteren Kürzung der Soziallohnbestandteile bzw. Sozialstaatsbeiträge – in betriebswirtschaftlich borniertem Sprech gern als „Lohnnebenkosten“ verharmlost und denunziert – aus denen bekanntlich Kernleistungen unseres Sozialwesens finanziert werden, ist gegenwärtig unmittelbar akut. Dem grassierenden betriebswirtschaftlich bornierten Diskurs gegenüber gilt es seitens der AK und Gewerkschaften umso entschiedener festzuhalten, dass die sogenannten „Lohnnebenkosten“ ihrem Wesen nach weitgehend Bestandteile der Reproduktionskosten des gesellschaftlichen Arbeitsvermögens und damit essenzielle Lohnbestandteile sind – und diese angesichts der neuerlich an ihnen angelegten Äxte auf das Entschiedenste zu verteidigen sind.
Schon in den letzten Jahren wurden diese Sozialstaatsbeiträge markant und mit spürbaren sowie nachhaltigen Auswirkungen auf die Finanzierung des Sozialstaates gekürzt. Die zurückliegenden Kürzungen kosten bereits satte 2,2 Milliarden Euro im Jahr und klettern bis 2025 auf einen jährlichen Einnahmeentfall von 2,8 Milliarden Euro empor.
Dem nicht genug, trachten Wirtschaftsverbände und Parteien aktuell nach weiteren Lohnnebenkostensenkungen. So stiege der Einnahmeausfall bis 2030 nach ÖVP-Programm auf satte 8,4 Milliarden Euro, nach Vorstellungen der NEOS überhaupt auf 15,1 Milliarden Euro.
Deshalb beschließt die Vollversammlung der Arbeiterkammer NÖ:
- Die Arbeiterkammer NÖ setzt sich mit aller Kraft und ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die akut drohende, weitere Senkung der als „Lohnnebenkosten“ bezeichneten Soziallohnbestandteile/Sozialbeiträge ein.
- Die Arbeiterkammer NÖ startet eine Aufklärungsoffensive über Wesen und Charakter der Lohnnebenleistungen unter den Beschäftigten Niederösterreichs und der Öffentlichkeit.
- Die Arbeiterkammer NÖ widersetzt sich jedem Regierungsprogramm, das sich einer weiteren Senkung der Soziallohnbestandteile der Arbeitenden verschreibt.
Antrag 3: Arbeitszeitverkürzung: Für eine Neuvermessung der Arbeit
John Maynard Keynes prognostizierte 1930, dass wir dank des technischen Fortschritts im Jahre 2030 wohl nur mehr 3 Stunden am Tag arbeiten müssen. Quasi zeitgleich schloss sich der bekannte englische Philosoph Bertrand Russel – mit zahlreichen weiteren bekannten Köpfen seiner Zeit –, der in den USA aufgrund der enorm gestiegenen Arbeitsproduktivität bereits vor fast einem Jahrhundert aufgekommenen Forderung nach einem 4-Stunden-Tag an.
Knapp 100 Jahre später herrscht, nach anfänglichen Durchsetzungsschüben der Arbeitszeitverkürzung nach dem Zweiten Weltkrieg, jahrzehntelanger Stillstand hinsichtlich einer weiteren Verkürzung der Arbeitszeit. So jährt sich die Einführung der gesetzlichen 40-Stunden-Woche heuer zum 50. Mal, ohne das daran eine weitere generelle Arbeitszeitverkürzung anschloss.
Ja, Österreich weist realiter sogar die zweithöchste Realarbeitszeit in der EU auf. Nur in Griechenland wird noch mehr gearbeitet. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit lag in Österreich im letzten Jahr bei 41,7 Wochenstunden und damit mehr als eine Stunde über dem Schnitt im Euroraum.
In den letzten Jahren nehmen die Debatten und Forderungen zur Arbeitszeitverkürzung allerdings wieder etwas an Fahrt auf. Sowohl international wie national. Ob in der Forderung der IG-Metall nach einer Senkung der Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden und einer 4-Tage-Woche, oder auch etwa in Modell-Versuchen in Island, Schweden, Spanien aber auch etwa in Großbritannien. Und auch in Österreich ist mit jüngsten Vorstößen, nicht zuletzt auch der AK, die Debatte um eine weitreichende Arbeitszeitverkürzung sowie eine 4-Tage-Woche neu entflammt oder stehen, wie in unterschiedlichen KV-Runden, hier und dort auf der Agenda.
Knappe 5 Jahrzehnte 40/h-Woche – 4 Jahrzehnte „Papiertiger“ 35/h-Woche
Aber Letzteres sind bislang dennoch zaghafte Ausreißer in der arbeitszeitpolitischen Großwetterlage. Seit 1975, wie gesagt einem halben Jahrhundert (!), kam es nach Einführung der 40-Stunden-Woche in Österreich denn auch zu keiner weiteren umfassenden und generellen Arbeitszeitverkürzung mehr. Zwar konnten seither in verschiedenen Branchen kollektivvertragliche Arbeitszeitverkürzungen durchgesetzt werden. Von einer flächendeckenden Arbeitszeitverkürzung oder gar Einführung einer gesetzlichen 35-Stunden-Woche als erstem und überfälligem Schritt einer weitreichenden Arbeitszeitverkürzung sind wir nichtsdestotrotz meilenweit entfernt.
Die gesetzliche Regelarbeitszeit liegt unverändert bei 40 Wochenstunden. Die seit 1983, zunächst von der GPA, und in Folge auch von ÖGB und AK geforderte 35-Stunden-Woche ist auch nach mittlerweile vier Jahrzehnten nicht durchgesetzt. Damals wurde diese bereits als (Produktivitäts-)Abgeltung der Effektivierungen der 1970er Jahre (!) gefordert. Heute begründet sie sich dahingehend, wie der weitere Schritt in Richtung einer weitreichenderen Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden, ökonomisch natürlich in nochmals drastisch gestiegenem Ausmaß aus der enormen seitherigen Produktivitätssteigerung, die sich in diesen 50 Jahren „pro geleistete Arbeitsstunde verdoppelte“ hat, während sich „bei der gesetzlichen Arbeitszeit … nichts getan hat“, wie auch die BAK hervorstrich.
Der damit mit einhergehenden, gestiegenen Arbeitsintensität, Belastungen und Stress entsprechend, sprechen sich denn der zuletzt präsentierten Umfrage der AK zufolge, und zwar quer durch alle Branchen, auch deutliche 82 Prozent der Beschäftigten für eine weitergehende sowie vielfach radikale Reduzierung der Wochenarbeitszeit aus. Und zwar in einem Korridor zwischen 35 bis 25 Stunden – sprich: bis zu Forderung nach einer neuen „kurzen Vollzeit“.
Denn entgegen manch stumpfsinnigen soziologischem Gerede, stellt die Arbeitswelt unverändert nicht nur den kompaktesten Block unseres Lebensalltags dar, sondern drückt auch unserer übrigen Lebenszeit immer stärker ihren Stempel auf: Von der ausufernden Verfügbarkeit unserer Arbeit, über die Intensivierung der Arbeitsprozesse und Arbeitsverdichtung, bis zu gegenüber früher längeren Anfahrtszeiten zum Betrieb. Mit all den damit einhergehenden physischen und psychischen Belastungen und Folgen: Stress, Überarbeitung, Burn-Out und anderen stressbedingten Erkrankungen, steigendem Arbeitsunfallrisiko, akutem privaten Zeitmangel, zunehmender Unvereinbarkeit von Beruf und Privatem und fehlender ausreichender Erholung.
Demgemäß gab auch jede/r dritte Beschäftigte der Umfrage an, sich nicht vorstellen zu können seinen/ihren aktuellen Job bis zur Pension ausüben zu können. Entsprechend schreien die Verhältnisse denn auch geradezu nach einer Wende in Richtung „kurzer Vollzeit“ für alle.
Für eine Neuvermessung der Arbeit!
Neben der unabdingbaren Abfederung der gestiegenen Arbeitszeitverdichtung und als beschäftigungspolitischer Hebel, ist eine radikale Arbeitszeitverkürzung (über eine rein monetäre Konsumpartizipation hinausgehende) und gesellschaftliche Umverteilung der Arbeit auf alle, denn zugleich ebenso zu verstehen als Aneignung der Produktivitätssteigerung seitens der Arbeitenden auch in Form von mehr freier Zeit: fürs Private, für Muße, Genuss und Selbstentfaltung. Oder um ein weiteres Mal einen bloß bürgerlichen Ökonomen ersten Ranges heranzuziehen und daher noch einmal mit John Maynard Keynes geredet: Wir sind schon „zu lange“ darin verfangen, im Job „immer das Äußerste zu geben“, und anschließend nur mehr oder zumindest vorrangig danach zu trachten irgendwie ‚abzuschalten‘, und „haben nicht gelernt uns zu entspannen“ und „den Tag auszukosten“.
Last but not least würde eine radikale Arbeitszeitverkürzung auch das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern reduzieren: Sie ermöglicht es Frauen, leichter aus den mannigfach erzwungenen flexiblen Arbeitszeiten und „Zwangs-“ Teilzeit mit zu wenig Lohn für ein selbständiges Leben in Vollzeitbeschäftigung auszubrechen, während männliche Beschäftigte wiederum mehr Zeit hätten, um ihren Teil an Haushalt und Kinderbetreuung zu übernehmen.
Hinzu gilt es Arbeitszeitverkürzung darüber hinaus allerdings zugleich in all ihren Dimensionen auf die Agenda zu setzen, im Sinne der einer gesamthaften Verkürzung der Wochen-, Tages-, Jahres- und Lebensarbeitszeit – also ebenso erweiterte Urlaubsansprüche und eine Senkung des Pensionsantrittsalters umfassend.
Arbeitszeitverkürzung als Sieg der politischen Ökonomie der arbeitenden Klassen
Für eine solche Neuvermessung der Arbeit bedarf es allerdings entschiedenerer Hebel einer Durchsetzung als etwa die jüngste „Aufforderung“ an Arbeits- und Wirtschaftsminister, ein neues Arbeitszeitgesetz Richtung „gesunder Vollzeit“ unter „Einbindung aller Sozialpartner“ auf den Weg zu bringen.
Denn die politische Großwetterlage steht auf Backlash. So wird allen Ernstes sogar wieder über längere Arbeitszeiten diskutiert. Neben steuerlichen Anreizen für mehr Überstunden wurde von Seiten der Industrie zuletzt die Forderung nach einer 41-Stunden-Woche erhoben. Dabei wurden mit der Verlängerung der Höchstarbeitszeit bzw. der Einführung des 12-StundenTages 2018 bereits entscheidende Verschlechterungen für die Beschäftigten eingeführt.
Ohne entschiedener politischer Kampagne und gesellschaftlicher Auseinandersetzung wird es beim wirklosen „Appell“ verbleiben. Die Hebel einer energischen, konsequenten Auseinandersetzung um eine neue „kurze Vollzeit“ und des Zugewinns an emanzipatorischer Lebensqualität indes, eröffneten hingegen nicht nur eine tragfähige Möglichkeit diese auch durchzusetzen – also mit Marx gesprochen einen „Sieg der politischen Ökonomie der arbeitenden Klassen“ zu erringen (wie er die seinerzeitige 10-Stunden-Bill in England bezeichnete) –, sondern sind zugleich mit einer kämpferischen Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verbunden und könnte so eine insgesamte soziale Wende einleiten.
Deshalb beschließt die Vollversammlung der Arbeiterkammer Niederösterreich:
- Die AK Niederösterreich fordert eine neue „kurze Vollzeit“ bzw. „gesunde Vollzeit“ für alle (32 resp. 30 Stunden, ggf. über eine Etappe einer generellen 35-Stunden-Woche) als neuen Normalarbeitstag! (Für kontinuierliche Produktion mit Nachtschicht würde dies als 6-Stunden-Tag letztlich zwei verkürzte Nachtschichten bedeuten.)
- Die AK Niederösterreich fordert ein Verbot von All-in-Verträgen und die Aufhebung der AZG-Regelungen über den 12-Stunden-Tags von 2018!
- Die AK Niederösterreich fordert strafrechtliche und öffentliche Sanktionen gegen Unternehmen, die gegen arbeitszeitgesetzliche und KV-rechtliche Regelungen verstoßen!
- Die AK Niederösterreich sieht sich darüber hinaus einer gesamten Neuvermessung der Arbeit verpflichtet, d.h. die notwendige Arbeitszeitverkürzung in all ihren Dimensionen auf die Agenda zu setzen, im Sinne der einer gesamthaften Verkürzung der Wochen-, Tages-, Jahres- und Lebensarbeitszeit – also ebenso erweiterte Urlaubsansprüche und eine Senkung des Pensionsantrittsalters umfassend!
- Die AK Niederösterreich initiiert gemeinsam mit dem ÖGB eine entschiedene, politische Kampagne für eine neue „kurze Vollzeit“ mit der Möglichkeit einer 4-Tage-Woche!
Antrag 4: Nein zu Belastungspaketen!
Mit Ausbruch der Corona- und Wirtschaftskrise wurden im März 2020 europaweit (zu Recht) die unsinnigen „Maastricht-Kriterien“ krisenbedingt kurzerhand außer Kraft gesetzt. Die Krise wurde daraufhin – vor allem im Interesse der Unternehmen – monetär zugeworfen.
Gleichzeitig warf sich mit der weiteren Auftürmung der Staatsschulden seither jedoch die Frage auf, wer diese am Ende zu zahlen haben wird. Denn die Expansion der Verschuldung entschärfte unmittelbar zwar den damit zugleich latent im Raum stehenden Verteilungskonflikt bzw. konnte diesen sozusagen vorübergehend überbrücken, aber lediglich um diesen dann mit dem Wieder-in-Geltung-Treten der „Maastricht-Kriterien“ umso schärfer aufs Tableau zu bringen. Nun stehen wir an diesem Punkt. Bereits im Juni machte denn auch der Fiskalrat den Anfang und postuliert: Die „nächste Bundesregierung“ habe als „unerlässlichen“ Schritt ein massives „Sparpaket“ zu schnüren. Seither vergeht kaum noch eine Woche in der nicht vom WIFO, über das IHS, die OeNB, bis zu den neoliberale Think Tanks Eco Austria oder Agenda Austria massive Sparpakete gefordert werden.
Dem neoliberalen wirtschaftspolitischen Credo entsprechend kommt für die Mainstreamökonomie – trotz Nuancierungen im Einzelnen – ein Kurswechsel zu einer alternativen, nicht zuletzt einnahmenseitig-umverteilungspolitisch akzentuiert Budgetpolitik, gar eine Konfrontation mit den Maastricht-Kriterien natürlich nicht in Frage.
Das Einfachste in diesem Zusammenhang wäre ohnehin, die Europäische Zentralbank (EZB) würde die staatlichen Schuldscheine und Anleihen der historisch-spezifischen Corona- und Rettungspakete, wie von einigen ÖkonomInnen vorgeschlagen, einfach europaweit im erforderlichen Ausmaß aufkaufen und stilllegen. Sprich: nach Erwerb in 100-, 200- oder 500-jährige Anleihen umwandeln und damit de facto zum Verschwinden bringen. (Und dies nach den jeweils staatlichen Erfordernissen, nicht nach Euro-Kern- und Gewinnerländer privilegierend-nationalistischer Maßgabe der Kapitalanteile der nationalen Zentral- bzw. Notenbanken an der EZB.) Eine derartige Maßnahme wäre auch gar nicht so neu, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Ähnlich agierte vor Dekaden z.T. bereits Großbritannien bezüglich seiner Kriegsanleihen, ohne dass heute noch ein Hahn danach kräht. Allerdings ist ein solcher Pfad der EZB selbst unter breiterer Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse kaum in Aussicht.
Umso entscheidender ist es dem Dogma der „ausgabenseitigen Budgetkonsolidierung“ die vielfältigen in den Fachabteilungen und seitens der Fraktionen erarbeiteten und in der Vollversammlung verabschiedeten „einnahmenseitigen“ Alternativen (von vermögensbezogenen Steuern, über eine höhere Besteuerung der Konzerngewinne, einer Zurückholung der Überförderungen etc.) entgegenzusetzen. Und: gemeinsam mit dem ÖGB den konsequenten Kampf gegen die drohenden Sparpakete aufzunehmen. Denn, ob und inwieweit sich eine derartige Rotstiftpolitik durchsetzt, entscheidet sich am Widerstand und den Alternativen den wir Sparpaketen entgegensetzen.
Deshalb beschließt die Vollversammlung der Arbeiterkammer Niederösterreich:
- Die AK Niederösterreich stellt sich konsequent gegen jedes Sparpaket das Arbeitende belasten würde!
- Entschiedener Widerstand gegen jetzt schon statthabende Einsparungen, wie z.B. im AMS-Kontext
- Stattdessen Her mit einer Sozial-, Bildungs- und Pflegemilliarde!
Antrag 5: Nein zu Hochrüstung und Militarisierung – Ja zur Neutralität!
Das neue globale Hoch- und Wettrüsten ist in einen regelrechten Rüstungstsunami übergegangen. Und auch in Österreich wurden in dessen Windschatten in parteiübergreifendem Konsens das Heeresbudget und die heimischen Rüstungsausgaben in neue Rekord-Dimensionen geschraubt. Zugleich gelten diese als sakrosankt, während auf der anderen Seite massive Sparpakete drohen.
Nun wird die kontinuierliche Hochrüstungsspirale fürs Publikum zwar mit dem Ukraine-Krieg „begründet“, was auf nüchterner Datenbasis allerdings schlicht falsch ist. Dem korrelierend hat denn auch die rüstungspolitische Ausschlachtung des Kriegs in und um die Ukraine andere Triebkräfte, wie es Andreas Seifert von der Informationsstelle Militarisierung auf den Punkt brachte: „Die 2022 ausgerufene Zeitenwende … schafft den [willkommenen] Begründungsrahmen für Pläne, die schon lang bereit lagen.“ Und mit der von der EU-Kommission jüngst vorgelegten neuen Strategie für die Rüstungsindustrie, dreht Brüssel gerade nochmals kräftig weiter an der Hochrüstungsschraube, der Militarisierung der internationalen Beziehungen und einem EU-Rüstungsboom.
Der massive Anstieg der globalen Rüstungsausgaben ist allem voran vielmehr Folge der konfrontativen, kriegerischen Globalstrategie des Westens und seiner zahllosen Kriege: gegen Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen, gegen Syrien, Mali und in Somalia oder auch Militäroperationen wie in Uganda, Liberia, Haiti. Oder aktuell der westlichen Kriegs-Assistenz in Jemen und Palästina sowie der Aufrüstung gegen China und Militarisierung des Pazifiks.
Entsprechend zogen die globalen Rüstungsausgaben, nach einem kurzen Rückgang im unmittelbaren Anschluss des sogenannten Zweiten Golfkriegs der USA gegen den Irak 1990 – 1991, seit 1998 (parallel zum Project for the New Amercian Century der Neocons) von Neuem rasant an und erreichten bereits 2006 wieder den Stand zu Ende des „Kalten Kriegs“. Ab 2012 stiegen sie dann nochmals besonders steil an, um 2021 erstmals die 2 Billionen Dollar Schallmauer zu durchbrechen und sich zu 1998 zu verdoppeln. Von wegen „Friedensdividende“ und angeblich „kaputtgesparten“ Streitkräften. Und wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, als der Ukraine-Krieg noch unter ferner liefen lag.
Während die Arbeitenden in den Metropolen und Millionenmassen der Subalternen rund um den Globus zunehmend unter die Räder der multiplen Krise und Krisenkonjunktur des kapitalistischen Weltsystems kommen (von der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09, über die Eurokrise 2010/11, die begonnene Klimakrise, zur Wirtschafts- und Coronakrise 2020/21, der Rückkehr der Hochinflationszeit 2022/23 und anhaltenden „säkularen Stagnation“ des Spätkapitalismus), sind die weltweiten Militärausgaben dergestalt parallel auf ein neues geschichtliches Allzeithoch von irrsinnigen 2,24 Billionen oder 2.240 Mrd. Dollar angewachsen. Unberührt von allen Budgetrestriktionen à la Maastricht oder gegen Soziales in die diversen Verfassungen geschraubten Schuldenbremsen. Tendenz: rasant weiter steigend.
Exorbitante 52 Prozent davon fallen alleine auf die G7-Staaten, den selbsternannten westlichen „Lenkungsausschuss der Weltwirtschaft und Weltpolitik“. Auf die NATO mit 55 Prozent oder 1.232 Mrd. Dollar der weltweiten Militärausgaben wiederum deutlich über die Hälfte der globalen Rüstungsmilliarden. Entsprechend vermeldete NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zu seinem Abschied stolz die „beispiellose“ Anhebung der Rüstungsausgaben des westlichen Militärpakts. Aber auch Japan, Australien und andere transatlantische Verbündete steht vor einer beispiellosen neuen Militarisierung, Hochrüstung und neuen Militärstrategien.
In diesem Kontext kehren selbst die einst heiß bekämpften Mittelstreckenraketen nach Europa, Deutschland, zurück. Nunmehr als Patriot und Arrow 3. Dabei verschwanden die aufgrund des berüchtigten NATO-Doppelbeschlusses stationierten Raketen erst nach langem harten Kampf, der Millionenmassen gegen die boden- und landgestützten Mittelstreckenraken und Marschflugkörper (mit 500 bis 5.500 km Reichweite) mobilisierte, mit dem (von den USA 2019 einseitig wieder aufgekündigten) INF-Vertrag (1987) vertragsgetreu 1991 endlich aus Europa. „Wer sich zu Beginn der 1980er-Jahre als Mitglied der damaligen Friedensbewegung gegen die Stationierung von US-amerikanischen Pershing II und Cruise-Missiles in der Bundesrepublik engagiert hat“, so denn auch der prominente, gewerkschaftsnahe Politik- und Sozialwissenschaftler und Christoph Butterwegge, „fühlt sich derzeit wie in einem über 40 Jahre alten Film.“ Ja, so der Politikwissenschaftler, der sich seinen Blick noch nicht trüben lassen hat, zu Recht weiter: „Die von 2026 an geplante Stationierung von Marschflugkörpern des Typs Tomahawk sowie ballistischer und Hyperschallraketen soll die Möglichkeit schaffen, Ziele weit auf russischem Gebiet zu treffen. … Dabei ist die Abschreckungswirkung der genannten Waffensysteme gleich null, weil sie ein Aggressor – hieße er Putin oder wie auch immer – mit großkalibrigen Nuklearwaffen relativ leicht ausschalten könnte. Dienten sie tatsächlich dem angegebenen Zweck, würde man sie vernünftigerweise auf mehrere NATO-Staaten verteilen, um dem Feind einen Gegenschlag zu erschweren, und nicht ausschließlich in Deutschland stationieren. Ansonsten ergeben die US-Raketen nur als Erstschlagswaffen militärisch Sinn, weil sie russische Kommandozentralen vernichten könnten.“
Und auch deren Neustationierung geht mitnichten auf den jetzt gedeichselten Kontext des Ukraine-Kriegs zurück, sondern war dem Wissenschaftlichen Dienst des US-Kongresses zufolge schon in der ersten Jahreshälfte 2021 (sprich: vor Zuspitzung des Ukraine-Konflikts zu Ende des Jahres) beschlossene Sache.
Das nominell neutrale Österreich wiederum hat seinerseits zwischenzeitlich das euphemistisch unter „Abwehrsystem“ firmierende „Sky Shield“-Projekt (ESSI) unterzeichnet. Entgegen seiner verstellenden öffentlichen Darstellung als „Abwehrsystem“ stellt Sky Shield indes einen fundamentalen Baustein eines militärisch-konfrontativen nuklearen Paradigmenwechsels dar. Denn das „Raketensystem“ der europäischen NATO- und Teilnehmerländer soll unter militärischem Befehl des NATO-Oberkommandeur, dem sogenannten Saceur, vielmehr auch einen „heißen“ Krieg mit Russland führbar machen – mit gezielten „Enthauptungsschlägen“ und dicht gestaffelter Ausschaltung von dessen „Zweitschlagskapazität“.
Gerade das sollte der 1972 abgeschlossene (von den USA bereits 2001 einseitig aufgekündigte) ABM-Vertrag verhindern: dass sich eine Seite durch den Aufbau eines flächendeckenden Rakentenabwehrsystems nahezu unverwundbar machte – mit fatalen Folgen für das Prinzip der gesicherten gegenseitigen atomaren Abschreckung“, worauf jüngst mit Jochen Scholz, ehemals u.a. im NATO-Hauptquartier Alliierte Luftstreitkräfte tätig, gerade ein Ex-Militär von Rang den Finger legte. „Im Klartext bedeutet dies“, so Scholz es kurz und direkt auf den Punkt bringend, „die Schaffung einer Option für den atomaren Erstschlag“ der NATO und des Westens.
Den Erzählungen, Sky Shield diene mit seiner Fähigkeit Raketen bereits in der Stratosphäre abfangen zu können und außerhalb der neutralitätsrechtlich gedeckten Souveränitätszone zu bekämpfen dem Schutz des österreichischen Luftraums, wiederum, tritt auch in heimischen Gefilden mit General i.R. DI Mag. Günther Greindl (ehem. Leiter der Generalstabsgruppe für Sicherheitskooperation im BMLV und erster Militärrepräsentant Österreichs bei der EU und NATO) gerade ein Ex-Militär von Rang entgegen. Stärker noch: „Da ein Abschuss moderner Raketen nur im Verbund aller Abwehrsysteme und unter einheitlichem Kommando erfolgen kann“ wird Österreich im Rahmen der Verfasstheit des Systems der ESSI „zwangsläufig operativer Teilnehmer“ am Sky Shield. Womit sich unmittelbar die Frage aufwirft: „Macht sich das neutrale Österreich damit [nicht vielmehr] erst zum Angriffsziel?“
Und dazu abermals: Wer zahlt die Rechnung? Alleine die EU-Resolution „zur militärischen Unterstützung der Ukraine“ mit 0,25 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts (BIP) ergeben jährlich irrsinnige 127 Mrd. Euro an Militärhilfen.
Während im Land also einerseits milliardenschwere Belastungspakete drohen, wurde das sogenannte „Verteidigungsbudget“ begleitend auf über 4 Mrd. hochgeschraubt. Im Falle einer Steigerung auf das NATO(EU)-Ziel von zwei Prozent würde es sich sogar noch verdoppeln. Zusätzlich sind in den nächsten Jahren nochmals allein für „Sky Shield“ 6 Mrd. Euro und ein Aufrüstungs-Sonderbudget 2032 jenseits der 10 Mrd. veranschlagt.
Deshalb beschließt die Vollversammlung der Arbeiterkammer Niederösterreich:
- Die AK Niederösterreich sagt entschieden Nein zum neuen globalen Rüstungswettlauf!
- Die AK Niederösterreich fordert soziale Sicherheit statt Rüstungsmilliarden!
- Die AK Niederösterreich sagt Nein zu Sky Shield und Ja zur österreichischen Neutralität!
Antrag 6: Pensionen: In Würde alt werden!
Während der Equal Pay Day mittlerweile (zumindest) gesellschaftliche Empörung hervorruft, findet der Skandal des Pensions-Gap öffentlich meist nur geringe Beachtung. Dabei ist die Schere des Pensions-Gap zwischen Männern und Frauen noch skandalöser. Auf Basis der Medianpensionen betrug dieser vor fünf Jahren, 2019, sogar fast 50 Prozent (exakt: 49,2 Prozent) und hat sich auch aktuell kaum verringert. Dass diese himmelschreiende Ungleichheit und programmierte Altersarmut für das Gros der Frauen – deren Durchschnittspensionen gegenwärtig fast 200 Euro unter der Armutsgefährdungsschwelle nach EU-SILC liegen – einer radikalen Wende bedarf, ist evident. Hinzu kommt seit heuer noch, dass seit diesem Jahr das Antrittsalter zur Pension für Frauen schrittweise erhöht wird.
Dabei sind die stetig getrommelten Verunsicherungen der ökonomischen und demografischen Pension-Alarmisten und Schwarzmaler, die in einem fort die Pensionsausgaben dramatisieren und hinsichtlich der langfristigen Finanzierbarkeit des Pensionssystems von einem „unweigerlich drohenden Pensionskollaps“ schwadronieren, schlicht Humbug.
Das belegen regelmäßig auch die alle drei Jahre veröffentlichten Ageing Reports der EU-Kommission, in ihren umfassenden Prognosen zu den altersbezogenen Ausgaben der EU-Mitgliedsstaaten. So ist dem letzten, heuer erschienen Ageinig-Report zufolge die langfristige Finanzierung der Pensionen in Österreich auch in keiner Weise gefährdet – wie es in neoliberaler Manie gerade aktuell wieder einmal fälschlich getrommelt wird –, sondern erhöhen sich die Pensionsaufwendungen nur sehr moderat von 13,8 Prozent des BIP 2013 (inkl. Beamtenpensionen) auf 14,0 Prozent 2070; mit einem dazwischenliegenden vorübergehenden Anstieg auf 15,0 Prozent 2030, aufgrund der Pensionsantritte der geburtenstarken Babyboom-Generation, bevor die Aufwendungen wieder sinken. Dem aktuellsten, zum vorletzten sogar nach unten korrigierten, EU-Ageing Report 2024 zufolge, liegt die neueste Langfristprojektion (Ausgaben für Ausgleichszulagen und Reha-Geld miterfasst) sogar noch unter den bisherigen Prognosen.
Entsprechend unterstreichen auch die heimischen Pensionsvertreter:innen in Regelmäßigkeit zu Recht: Weder gibt es eine „Ausgaben-“ oder „Kostenexplosion“ noch ein „Pensionsloch“, sondern grundsätzlich vielmehr eine stabil und verlässlich finanzierbare Altersversorgung in Österreich.
Die konsensuale Erhöhung des Pensionsantrittsalters der Frauen ab 2024
Gleichviel wurde mit heurigem Jahr das gesetzliche Pensionsantrittsalter der Frauen von 60 auf 65 Jahre erhöht. Von dieser schrittweisen Erhöhung bis 2034 sind alle nach dem 31. Mai 1964 geborene Frauen betroffen. Durch die Anhebung soll, so die Begründung dieses im politischen System weitgehend konsensualen politischen Schritts, auf den demographischen Wandel reagiert werden. Denn die Phase ab 2024 ist vom Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge (sprich: dem Hineinwachsen der Babyboom-Geburtsjahrgänge ins Pensionsalter) aus dem Erwerbsleben gekennzeichnet.
Die spiegelbildliche Seite der Medaille
Dem (aktuell) anwachsenden Anteil an PensionistInnen an der Bevölkerung, stehen mit dem anteilsmäßigen Rückgang der Jüngeren allerdings auch Ausgabenverringerungen gegenüber. Da die Gesellschaft für beide erwerbslosen Gruppen finanziell aufkommen muss, sind folglich auch die daraus resultierenden gesellschaftlichen Gesamtaufwendungen geringer, als aus einer verengten Pensions-Froschperspektive gemeinhin behauptet wird. Zudem liegt im jetzigen Pensionsantritt der geburtenstarken Jahrgänge auch ein temporäres Phänomen verborgen, da mit dem Geburtenrückgang nach dem Babyboom ab nächstem Jahrzehnt auch die Zahl der älteren in Pension gehenden Semester wieder Jahr für Jahr sinken wird.
Denn die Anzahl der Alten steigt natürlich nicht stetig weiter an, wenn seit grob Mitte der 1960er im Schnitt Jahr für Jahr weniger Kinder geboren wurden, die nach ihrem Erwerbsleben demnächst und künftig in Ruhestand gehen werden, weshalb die Entwicklung nach dem Babyboomer-Peak denn auch von einer gegenläufigen Entwicklung abgelöst wird – und auch die Menschen werden trotz zunehmender Lebenserwartung auch nicht unbeschränkt älter. Zugleich ist die Pensionsfrage im Einzelnen nochmals diffiziler.
Demographische vs. ökonomische Abhängigkeitsquote
Für die Finanzierung des umlagebasierten Pensionssystems ist nicht, wie oft fälschlich angenommen, die Altenquote entscheidend, sprich das bloße Verhältnis zwischen Personen über 65 Jahren und jenen im erwerbsfähigen Alter (15 – 64). Diese rein demographische Abhängigkeitsquote wird oft als Verhältnis zwischen Berufstätigen und PensionistInnen fehlinterpretiert, indem die Zahl der Menschen im Erwerbsalter mit jenen der aktiv Erwerbstätigen gleichgesetzt wird. Neben anderen Faktoren wie der Produktivitäts- und Lohnentwicklung, der Leistungsniveaus und der Finanzierungsstruktur ist vielmehr die Beschäftigungsquote für die Nachhaltigkeit des Pensionssystems relevant.
Statt einem verengten Blick auf die demographische Abhängigkeitsquote sollte der ökonomischen Abhängigkeitsquote verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt werden. Sie zeigt das Verhältnis zwischen BezieherInnen von Transferleistungen, also Arbeitslosen und PensionistInnen, auf der einen und aktiv Erwerbstätigen auf der anderen Seite. Eine möglichst hohe Beschäftigungsquote ist, neben der sozialen Absicherung der Einzelnen, auch die wirksamste Strategie für eine nachhaltige Finanzierung des Pensionssystems und die Bewältigung des demographischen Wandels im Allgemeinen. Die Sicherung und Verbesserung der Qualität der Arbeitsplätze muss dabei ebenso einen wesentlichen Stellenwert einnehmen, wie die Umverteilung der Erwerbsarbeit zwischen Beschäftigten und Arbeitslosen sowie innerhalb der Beschäftigten die Umverteilung v.a. unfreiwillig unterschiedlicher Arbeitszeiten.
Wider der neoliberalen Schmalspurökonomie
Zugleich ist das neoliberale pensionspolitische Mantra, die Pensionen seien „aufgrund der demographischen Entwicklung nicht ausreichend finanziert“, generell ein Unsinn. Denn das bloße zahlenmäßige Verhältnis von Jung zu Alt, sagt noch nichts über die Finanzierbarkeit unseres Pensionssystems aus. Zwar steigt tendenziell die durchschnittliche Lebenserwartung, doch gleichzeitig wird der Anteil der Pensionsaufwendungen – gemessen am BIP – dadurch nur äußerst moderat ansteigen. Das belegt, wie bereits eingangs skizziert, unter anderem auch der letzte Ageing Report der EU-Kommission, mit seiner prognostizierten Erhöhung der Pensionsaufwendungen in Österreich von 2013 auf 2070 von 13,8 Prozent auf 14,0 Prozent des BIP, eindringlich.
Der Anstieg der durchschnittlichen (!) Lebenserwartung involviert beiher zugleich, dass um die 15 Prozent das Erreichen ihres Pensionsantrittsalters nicht mehr erleben und eine noch höhere Anzahl an PensionistInnen nur wenige Jahre der sogenannten „beschwerdefreien Lebenserwartung“ verbleiben, um nach einem arbeitsreichen Leben ihren verdienten und entspannten Lebensabend zu genießen. Zudem entspannen sich – wie eingangs bemerkt – aufgrund der weiteren demografischen Entwicklung resp. demografischen Lage die Pensionsaufwendungen im Ausmaß ihrer temporären Erhöhung durch die aktuellen Pensionsantritte der geburtenstarken Jahrgänge à la longue wieder.
Viel wichtiger unter volkswirtschaftlich, gesellschaftlich-ganzheitlichem Blickwinkel noch, worauf linke ÖkonomInnen seit je den Finger legten: Weder ist es nötig, das Pensionsniveau zu senken, noch das Pensionsantrittsalter zu erhöhen. Denn, es kommt nicht darauf an, wie sich die Relation zwischen Erwerbstätigen zu Nichterwerbstätigen, sondern das Verhältnis des verteilbaren Reichtums einer Gesellschaft zur Anzahl ihrer Mitglieder ändert. Und diese Zahl – das Volkseinkommen pro Einwohner – steigt.
Sonach gibt es auch nicht eigentlich ein Pensionsproblem, sondern vielmehr ein Verteilungsproblem. Und hierin liegt der entscheidende Konflikt. Auf dieser Grundlage ließe sich das umlagebasierte Pensionssystem verbessern und durch die geboten garantierte staatliche Zuschüsse stärken – und problemlos zukunftsfest machen.
In diesem Zusammenhang sei lediglich noch mit einem weiteren, ständig geschwungenem Propagandaknüppel aufgeräumt: dem durchsichtigen Ausspielen der Älteren gegen die jüngere Generation, der man die Pensionsleistungen nicht zumuten könne. In einem umlagebasierten Pensionssystem fungieren die Jüngeren aber nicht als Samariter für die Älteren, sondern erwerben mit ihren Pensionsbeiträgen vielmehr das Anrecht auf ihre eigenen Pensionen.
Es sind demgegenüber in Wirklichkeit gerade jene Neoliberalen, die der resp. einer stärkeren Kapitaldeckung das Wort reden, die den Jüngeren im kapitalistischen Verwertungsinteresse eine untragbare Belastung aufzubürden gedenken. Denn ein solcher Paradigmenwechsel würde bedeuten, dass die heutige erwerbstätige Generation für die heutigen PensionistInnen sorgt und zugleich Kapital für die eigenen Pensionen bilden müsste – ein Sachverhalt auf den linke ÖkonomInnen ebenfalls schon seit Geraumen hinweisen.
Push- und Pull-Faktoren
Die Gründe für einen Austritt aus dem Erwerbsleben wiederum sind vielfältig. Push-Faktoren, die aus der Beschäftigung hinausschiebend wirken, umfassen schlechte Arbeitsbedingungen, hohe psychische und/oder physische Anforderungen, ein Nichtübereinstimmen von vorhandenen und nachgefragten Qualifikationen, Gesundheitsprobleme, Präferenzen für mehr Zeit mit der Familie sowie auf der Unternehmensseite Lohnkosten und die Qualifikationsstruktur. In die Pension hineinziehende Pull-Faktoren sind die Anspruchsvoraussetzung für eine Pension (Mindestbeschäftigungsdauer), die Höhe der Einkommensersatzrate, der Arbeitsmarktstatus (beschäftigt oder arbeitslos) und der Familienstatus.
Hinzu kommt, dass sich die Mehrheit der Beschäftigten über 45 Jahre gerade in frauendominierten Branchen, wie Gesundheit, Pflege und Reinigung nicht vorstellen kann, ihren Beruf bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter auszuüben. Ausschlaggebend dafür sind sehr belastende Arbeitsbedingungen, die sich negativ auf die Gesundheit und damit die Arbeitsfähigkeit im Alter auswirken. Ebenso negativ wirkt hier die mitunter jahrzehntelange Mehrfachbelastung erwerbstätiger Frauen durch Hausarbeit, Kinder- und Enkelkinderbetreuung sowie Angehörigenpflege. Die gesundheitlichen Einschränkungen führen schließlich dazu, dass Frauen selbst in Bereichen mit großem Personalmangel kaum eingestellt bzw. nicht immer weiterbeschäftigt werden.
Die wichtigsten Ursachen des Bangen um die Altersvorsorge
Die wahren Probleme der Altersvorsorge im Land liegen denn auch – zum Schrumpfen der Einnahmebasis durch Arbeitslosigkeit und eines zunehmenden Niedriglohnsektors sowie die Beitragsbemessungsgrenzen für SpitzenverdienerInnen – vielmehr in den seit Jahrzehnten durch die unterschiedlichen Regierungen voran getriebenen Pensions“reformen“: mit der Absicht, den Bundesbeitrag und die Staatsquote zu drücken, sowie in den vielfältigen Pensionskürzungen, mannigfachen drastischen Verschlechterungen und Systemumstellungen. Dazu gesellt sich eine seit langem in neue Höhen emporgekletterte Arbeitslosigkeit, das Wuchern atypischer und prekärer Beschäftigungsverhältnisse, fragmentierte Erwerbsbiographien, „Zwangs-“Teilzeit und Minijobs.
Noch gar nicht so weit zurückliegend drohte, zur weiteren Erhöhung des Pensionsantrittsalters, zudem überhaupt die Einführung einer Pensionsautomatik. Dreh- und Angelpunkte des umlagefinanzierten Systems sind neben der staatlichen Dritteldeckung resp. zukunftsfester, ökonomisch problemlos zu bewerkstelligender staatlicher Zuschüsse, so allem voran die Frage der Vollbeschäftigung, mit hohen Löhnen und Gehältern, ein robuster Mindestlohn, die Aufhebung der Beitragsobergrenze für Spitzenverdiener sowie die Heranziehung wertschöpfungsbezogener Quellen bzw. von Finanz- und Spekulationseinkünften und ähnlichem.
Gender Pay Gap, „Zwangs-“Teilzeit, fragmentierte Erwerbsbiographien und Altersarmut von Frauen
Zu alledem gesellen sich insbesondere für Frauen noch generell schlechter bezahlte Jobs, fragmentierte Erwerbsbiographien, entgrenzte Prekarisierungen und „Zwangs-“Teilzeit, die vielfach direkt in die Altersarmut führen. Wie enorm der Gender-Gap ist, wurde eingangs bereits mit Blick auf das Vorkrisenjahr 2019 dargelegt: Im Durchschnitt lagen die Pensionen von Frauen (mit 1.284 Euro 2018) um 42,3 Prozent niedriger als jene ihrer männlichen Kollegen (mit 2.227 Euro, inkl. Zulagen und Zuschüssen, aber ohne zwischenstaatliche Teilleistungen).
Auf Basis der Medianpensionen betrug der Pensions-Gap, und damit schließt sich der Kreis, wie schon im Intro exponiert, sogar fast 50 Prozent (exakt: 49,2 Prozent). Und der Gender-Gap schloss sich auch seither nur minimalst und liegt heute bei 40,1 Prozent und auf Medianbasis nach wie vor bei knapp der Hälfte. Oder in anderen Worten: Die durchschnittliche Frauenpension liegt mit 1.378 Euro aktuell fast 200 Euro unter der aktuellen Armutsgefährdungsschwelle nach EU-SILC. Das soziale Gefälle im Erwerbsleben, wie die vielfach bereits akute Lohnarmut, multipliziert sich in der Altersarmut noch einmal.
Um diese himmelschreiende Ungleichheit und programmierte Altersarmut für das Gros der Frauen radikal zu wenden, ist zum einen der vielfach grassierende Mumpitz zur Pensionsfinanzierung in die Schranken zu weisen, und benötigt es andererseits eines konsequenten gewerkschaftlichen und sozialen Kampfs und einer damit einhergehenden Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, nicht nur zur Verteidigung sondern darüber hinaus progressive. Neugestaltung des Pensionssystems. Denn: Eine soziale Wende, nach der alle in Würde alt werden und gesichert ihren Lebensabend genießen können, lässt sich nur in konsequenten gesellschaftlichen Kämpfen und Offensiven der Arbeiterkammern erringen.
Deshalb beschließt die Vollversammlung der Arbeiterkammer Niederösterreich:
- Die AK Niederösterreich fordert in längerer Frist ein 40/60/80-Modell des Pensionssystems: eine maximale Lebensarbeitszeit von 40 Jahren, spätestens mit 60 in Pension gehen können, mit daran anschließender Pension von 80 Prozent des Einkommens der besten Jahre!
- Die AK Niederösterreich fordert darin zugleich eine öffentlich garantierte Mindestpension von 1.600 Euro! (80 Prozent des geforderten Mindestlohns von 2.000 Euro)
- Die AK Niederösterreich fordert die Rücknahme aller Pensionskürzungs“reformen“ und Verschlechterungen der letzten Jahrzehnte und Jahre – nicht zuletzt die Rücknahme der heuer in Kraft getretenen Erhöhung des Frauenpensionsantrittsalters!
Foto: E. Schuh/AKNÖ