Recht auf ein analoges Leben

Schon 2022 formulierte der Philosoph Alexander Grau in einem Debattenbeitrag ein „Grundrecht auf eine analoge Existenz“ (Der Spiegel 37/2022). Er konstatierte „Die Digitalisierung ist längst keine Technologie mehr, sondern eine Ideologie.“ und charakterisierte sie als „Fetisch unserer Zeit“.

Seit Jahrzehnten arbeiten Wirtschaft und Staat daran, die Digitalisierung unwiderruflich in den Alltag jedes Einzelnen zu implantieren, so Grau: „Wie keine andere Technologie durchdringt sie Beruf, Freizeit, Konsum, Unterhaltung, Gesundheit, Kommunikation. Das ist auch deshalb so gefährlich, weil die Digitalisierung uns als Person selbst zu verändern droht, unser Denken, unsere Gefühle, unsere Wünsche.“

Das Thema ist höchst aktuell: ÖVP-Pensionist:innenchefin Ingrid Korosec polemisierte kürzlich „Brauchen wir wirklich ein Recht auf analoges Leben?“ (Standard, 22.5.2024) gegen SPÖ-Chef Andreas Babler. Dieser hatte sich kürzlich für ein „Recht auf ein nichtdigitales Leben“ ausgesprochen. Er will den Bedenken – nicht nur älterer Menschen – Rechnung tragen, die Angst haben in einen digitalen Strudel hineingezogen zu werden.

Ähnlich übte sich auch Korosecs Parteifreund LH Thomas Stelzer bei seiner Stellungnahme zu der vom Zentralverband der Pensionist:innen (ZVPÖ) 2023 beim oberösterreichischen Landtag eingereichten Petition „Freier Zugang zu öffentlichen Leistungen“. Der ZVPÖ hatte in der Petition gefordert, durch ein Landesgesetz zu verankern, dass alle digital angebotenen Leistungen des Landes und der Gemeinden sowie landes- bzw. gemeindeeigener Unternehmen verpflichtend auch analog ermöglicht werden. Also durch persönliche Vorsprache oder so weit das möglich ist per Post, mittels Formular oder Telefon bei den jeweiligen zuständigen Dienststellen.

Stelzer meinte dazu, „das Land Oberösterreich forciere auch die digitale Transformation“, er behauptete eine „grundsätzliche Wahlfreiheit“ und meinte, „eine zusätzliche legistische Normierung von analogen Zugängen ist daher nicht notwendig“. Und Stelzer machte deutlich, dass die Unterstützung von nicht digitalaffinen Menschen durch „Bürgerservicestellen des Amtes und der Bezirkshauptmannschaften“ de facto nur gnadenhalber erfolgt.

Widerspruch aus ÖVP-Kreisen

Hingegen hatte sich auch der frühere ÖVP-Abgeordnete Rudolf Taschner für das „Recht auf Leben fern des Digitalen“ ausgesprochen (Presse, 2.5.2024) und stellte klar, „der Wunsch die Schnittstelle zum Digitalen gleich beim Bürger anzusetzen, zum Zwang zu verwandeln geht zu weit“. Der Mathematiker Taschner wandte sich gegen die Auffassung „man muss den Algorithmen vertrauen“, denn „Wer weiß wirklich, welcher Unfug mit den Daten angerichtet werden kann?“ Und er meinte „Denn die Welt des Digitalen ist nicht echt, nichts im Digitalen ist wirklich, alles nur Simulation“, daher gäbe es auch kein „digitales Leben“ und „Diesen Willen hat der Staat zu respektieren.“

Der ehemalige Salzburger Stadtpolitiker Anton Bucek kritisierte, dass der vormalige Digital-Staatssekretär Florian Tursky die Forderung von ÖVP-Seniorenchefin Ingrid Korosec nach einem „verpflichtenden analogen Bypass für digitale Abläufe“ boykottierte (OÖN, 9.3.2024). Dass ausgerechnet Tursky im Dezember 2023 gleich dreimal live im ORF beim Versuch in die ID Austria einzusteigen gescheitert ist, beweist zudem die Problematik des neoliberalen Digitali- sierungswahns.

Wenn jetzt Turskys Nachfolgerin Claudia Plakolm scheinheilig meinte, digitale Services seien „immer nur eine Ergänzung, aber kein Ersatz für analoge Wege“ (Kurier, 5.5.2024), so ist das eine recht durchsichtige hohle Beschwichtigung, läuft es real doch genau umgekehrt.

Auch der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) hat sich schon voll ins digitale Nirvana begeben und jubelte über die „Digitale Stadt Linz auf der Erfolgsspur“ (Pressekonferenz Stadt Linz, 28.5.2024). Er schwärmte über „Schritte zur Transformation der Organisationsstruktur – weg von der hoheitlichen Verwaltung und hin zur Serviceleistung“.

Analoge Diskriminierung

Aktuelle Beispiele für die digitale Fixierung sind der Handwerkerbonus, für welchen digitale Anträge als Norm festgelegt wurden (Kurier, 5.5.2024) oder die seit längerer Zeit laufende Ausdünnung von Bankomaten und Schalterschließungen bei Banken.

Auch wenn die Digitalisierung Erleichterungen im täglichen Leben – wie etwa den Zugang zu Informationen, Anmeldungen und Reservierungen für Verkehrsmittel, Online-Bestellungen, Behördengänge etc. – bedeutet, darf nicht ignoriert werden, dass nicht alle Menschen Zugang zur digitalen Welt haben. Auch ist nicht akzeptabel, dass Tickets für Bahn oder Flug am Schalter teurer sind als beim digitalen Kauf. Dazu kommt ein durch zunehmende kriminelle Aktivitäten im Netz verstärktes Misstrauen in Bezug auf den Daten- schutz.

Leo Furtlehner ist verantwortlicher Redakteur der „Arbeit“

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