Pandemie entblößt Kapitalismus
Anne Rieger über die Corona-Maßnahmen
Obwohl 2006 ein 70-Seiten Pandemie-Plan unter Gesundheitsministerin Rauch-Kallat beschlossen wurde, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, interessierte sich dann kaum mehr eine Regierung dafür. Vorsorgemaßnahmen wie Bereitstellung von Desinfektionsmittel, Schutzmasken, Schutzanzüge fehlten. Im Zuge der Corona-Pandemie rang man dann um medizinisches Material, Schutzausrüstung, Intensivbetten und Beatmungsgeräte.
EU-Kommission fordert Kürzungen
Laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht hat die EU-Kommission mindestens 63 Forderungen an die Mitgliedstaaten gestellt, die Ausgaben in der Gesundheitsversorgung von 2011 bis 2018 zu kürzen, um die willkürlichen Schulden- und Defizitziele des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu erfüllen. Diese Regeln haben die öffentlichen Dienstleistungen in ganz Europa ausgehöhlt, einschließlich der Gesundheitsdienste, berichtet Mick Wallace, Abgeordneter der Linksfraktion im EU-Parlament.
Und nicht nur, dass im medizinischen Bereich jahrzehntelang drastisch gekürzt wurde, auch in der aktuellen Situation wird nichts getan, um die Beschäftigtenzahlen im Gesundheitsbereich bei qualitativ hochwertiger Bezahlung zu erhöhen, auch um die Arbeitszeiten zu verkürzen. Verlängerte Arbeitszeiten erhöhen das Erkrankungsrisiko. Betten- und Personalabbau jedoch stehen weiter auf der Agenda.
Wem gehört Österreich?
Die Ereignisse und Maßnahmen um die Pandemie zeigen wer wirklich das Sagen hat, oder anders gesagt, wem Österreich gehört. Ein Beispiel: Erst als am 5. März die Wirtschaftskammer-Wahl in Tirol abgeschlossen war, wurde am 9. März die Bar „Kitzloch“ geschlossen. Das Wahlergebnis (80 Prozent für den ÖVP-Wirtschaftsbund) war offensichtlich wichtiger als die Gesundheit der Menschen. Erst danach wurde der Lockdown beschlossen.
„Es könnte sich dabei herausstellen, dass die Versäumnisse bei der lokalen Eindämmung der Pandemie die bundesweiten strengen Regelungen erst notwendig gemacht haben“, gibt Robert Krotzer, Gesundheitsstadtrat der KPÖ in Graz, zu bedenken. Er erläutert weiter, dass Kanzler Kurz bestens informiert gewesen sei.
Am 25. Februar habe er in London vor Journalisten über die Corona-Fälle in der Innsbrucker Nobel-Unterkunft „Hotel Europa“, wo er selbst erst wenige Tage vorher zu Gast war, gesprochen. Dort habe er die schwerreiche Tiroler Adler-Runde, einen Zusammenschluss der mächtigsten Tiroler Kapitalisten getroffen, die in Wahlkämpfen der ÖVP gerne finanziell aushülfen, um danach mit der konzernfreundlichen Politik der Bundesregierung(en) bedankt zu werden.
Arbeitszeitverkürzung
Nun sind, infolge der dann erfolgten Regierungsmaßnahmen, weit über eine Million Menschen erwerbslos, ein großer Teil davon in Kurzarbeit. Eine vernünftige, rationale Antwort darauf ist, Teile der Kurzarbeit in drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich umzuwandeln und alternative Beschäftigungsprojekte zu entwickeln, damit die Arbeitslosigkeit begrenzt, und die Menschen nicht auf staatliche Transfergelder angewiesen sind. Die Gewinne der vergangenen Jahre der großen Konzerne geben das her, eine progressive Vermögenssteuer für die Millionäre (4,4 Prozent der Erwachsenen), gäbe dem Staat die Möglichkeit, kleinen Unternehmen unter die Arme zu greifen.
Der Sprecher der Herrschenden in Österreich, Harald Mahrer, Präsident von Wirtschaftsbund, Wirtschaftskammer, Österreichischer Nationalbank und Wirtschaftsforschungsinstitut, aber sagt „Ein definitives Nein zur Arbeitszeitverkürzung.“ Nicht einmal die Nettoersatzrate für Erwerbslose soll angehoben werden, obwohl Österreich mit 55 Prozent (in der Regel liegt der Betrag darunter) am untersten Ende bei der Auszahlung von Arbeitslosengeld liegt. Nun werden 50 Mrd. Euro von unseren Steuergeldern verteilt. Für die, die es am nötigsten brauchen? Keineswegs. Die am meisten haben, bekommen mehr dazu. Nicht der staatlichen Behörde, sondern der Wirtschaftskammer, wurde diese Aufgabe übergeben.
Während sich Politiker, Aktionäre und Industrielle in ihre Paläste zurückzogen, kämpften Arbeiter*innen, Angestellte und medizinisches Personal um Nahrung, Medizin, Transport, Reinigung, Kommunikation, Energie und notwendige Güter, um das Leben aufrecht zu erhalten.
Angriff auf Lohnabhängige
Den Vorhang der Pandemiemaßnahmen nutzten Angehörige der herrschenden Klassen um die Ursache der bereits existierenden kapitalistischen Krise zu kaschieren, Preise zu erhöhen, Produkte zu verstecken, um künstliche Knappheit zu erzeugen, Profite zu erhöhen, Betriebsratswahlen zu behindern. Nun wird ein Arbeitszeitmodell propagiert, bei dem sich die Beschäftigten ihre Arbeitszeit selber bezahlen sollen. Verbunden mit Lohnkürzungsprogrammen und mit Jobabbau wie gerade in der Luftfahrt.
Wir müssen den Vorhang der Pandemiemaßnahmen herunterreißen, unsere Schockstarre überwinden, Vermögenssteuer jetzt fordern sowie mehr Personal in Gesundheit, Bildung, Öffentlichen Verkehr und Wohnungsbau und an jeder Stelle Protest und Widerstand mobilisieren. Ohne das, werden uns die Herrschenden bis auf das letzte Hemd ausziehen.
Anne Rieger ist Mitglied im Landesvorstand und erweiterten Bundesvorstand des GLB