ÖGK solidarisch finanzieren
Unter den gesetzlichen Abgaben nehmen die Beiträge zur Sozialversicherung eine Sonderstellung ein. Sie unterscheiden sich von Steuern dadurch, dass sie erstens zweckgebunden und zweitens mit daraus abgeleiteten konkreten Rechtsansprüchen (Recht auf Leistungen im Krankheitsfall, Recht auf Pensionen) verbunden sind.
Drittens unterstehen die SV-Beiträge nicht der Regierung, sondern der Selbstverwaltung der Versicherten, auch wenn die Selbstverwaltung derzeit, also seit der letzten schwarz-blauen Regierung ausgehöhlt ist.
Die österreichische Sozialversicherung, insbesondere die gesetzliche Krankenversicherung, ist breit aufgestellt. Letztere erfasst über 99 Prozent der Bevölkerung. Der Beitrag zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) beträgt 7,65 Prozent, wovon 3,87 Prozent vom Dienstnehmer und 3,78 Prozent vom Dienstgeber eingezahlt werden.
Es geht um Lohnbestandteile
Beide Teilbeträge sind Lohnbestandteile, auch wenn ein Teil vom Dienstgeber abgeführt wird. Die ÖGK verwaltet und verteilt (2022) 17 Mrd. Euro. Nach der Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen zur ÖGK durch die schwarz-blaue Regierung, die mit dem Versprechen des Freiwerdens einer Patientenmilliarde verbunden war, erhöhte sich der jährliche Aufwand um mehrere hundert Millionen Euro. Nach Angaben von ÖGK-Co-Direktor Huss schreibt die ÖGK Verluste, sodass die Reserven in den nächsten Jahren aufgebraucht sein werden. Dann stünden nur die Alternativen zur Verfügung: Einschränkung der Leistungen oder Erhöhung der Beiträge oder ein Ausgleich aus dem Bundesbudget
Fragwürdige Obergrenze
Es gibt allerdings eine vierte Variante: das ist die Aufhebung der Höchstbeitragsgrundlage für die Bemessung der Beiträge. Der Beitragssatz von 7,65 Prozent wirkt wie eine Flat-Tax, das heißt bis zur Höchstbeitragsgrundlage zahlen alle Versicherten den gleichen Prozentsatz, es gibt keine Progression, die der höheren Leistungsfähigkeit bei höheren Einkommen entsprechen würde.
Mehr noch: Mit der Höchstbeitragsgrundlage, die (2024) 6.060 Euro beträgt, bricht der reale Prozentsatz der Flat-Tax ab und Einkommen, die die Höchstbeitragsgrundlage übersteigen, zahlen prozentmäßig weniger ein als der formelle Beitragssatz beträgt.
Ein Beispiel: Von einem Einkommen von 10.000 Euro werden nur 6.060 Euro als Bemessungsgrundlage herangezogen. Versicherte zahlen also 463,59 Euro (7,65 von 6.060) an die ÖGK was einem Prozentsatz von nur 4,64 Prozent vom Einkommen von 10.000 Euro entspricht. Würde vom Einkommen von 10.000 Euro der geltende Beitragssatz von 7,65 Prozent eingehoben, müsste 765 Euro gezahlt werden (verteilt auf DN und DG), also über fünfzig Prozent mehr als tatsächlich fällig ist.
Degressive Wirkung
Die Flat-Tax des Krankenversicherungsbeitrages wirkt also für die Hoch- und Bestverdiener:innen degressiv. Das ist das Gegenteil einer solidarischen Versicherung, die Reichsten zahlen relativ am wenigsten in die Versicherung ein. Dieses System bewirkt eine Umverteilung von unten nach oben. Die Reichsten finanzieren ihre privaten Zusatzversicherungen faktisch aus den Beträgen, die der ÖGK auf Basis des bestehenden Systems vorenthalten werden.
Das höchstverdienende Zehntel der Einkommensbezieher:innen verdient mehr als 4.929 Euro, (AKOÖ, 2022) d.h. dass weniger als zehn Prozent der österreichischen Bevölkerung von der Aufhebung der Höchstbeitragsgrundlage betroffen wäre. Es würden aber beträchtliche zusätzliche Mittel der Krankenversicherung zufließen.
Diese könnten nicht nur drohende Defizite abwenden, und damit auch eventuelle Zuschüsse aus dem allgemeinen Steuertopf vermeiden, der zu 80 Prozent aus Massensteuern gespeist wird, und überdies weitere, zusätzliche Leistungen der ÖGK finan- zieren und bestehende Selbstbehalte reduzieren oder abschaffen.
Michael Graber ist Volkswirt und Bundesobmann des ZVPÖ (Zentralverband der Pensionist:innen Österreichs)