Nicht nur knapp daneben!
Georg Erkinger über den neuen Arbeitsminister
Mitte März 2020: Die Corona-Fallzahlen erleben in Österreich einen ersten dramatischen Anstieg. Das Land befindet sich im Lockdown und steuert auf den ersten Höhepunkt der Pandemie zu. Während Christine Aschbacher ihrer Doktorarbeit, die sie im Mai des Jahres einreichen wird, den letzten Feinschliff gewährt, forscht Martin Kocher an Wirtschaftsprognosen.
Am 26. März veröffentlicht das IHS, dessen Chef er ist, eine Konjunkturprognose. Geht es nach dem Institut für höhere Studien soll das Bruttoinlandsprodukt 2020 lediglich um real zwei Prozent sinken, die Arbeitslosigkeit von 7,4 auf nur 8,4 Prozent steigen und das Budgetdefizit nach Maastricht gerade einmal fünf Prozent betragen. Die Prognose von Kochers Institut ist damit mindestens gleich weit von der Realität entfernt, wie Aschbachers Ergüsse zur Seepockenproblematik von einer wissenschaftlichen Arbeit.
Präsident des Fiskalrats
Juni 2020: Kochers nächster Karriereschritt steht an. Die Bundesregierung ernennt ihn zum neuen Präsidenten des Fiskalrats. Diesem obliegt die Überwachung der EU-Fiskalregeln. Im Dezember 2020 begrüßt der Fiskalrat in seinen Empfehlungen die umfassende Intervention zur Bekämpfung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, obwohl jetzt bereits sonnenklar ist, dass diese in ihrer Einseitigkeit die Ungleichheit verschärfen und für hunderttausende Menschen zu Notlagen führen.
Im Kapitel Arbeitsmarkt hat Kochers Fiskalrat lediglich zwei Empfehlungen für die Regierung parat: „Sicherung des Fortbestands der heimischen Unternehmen durch Stärkung der Liquidität, der Eigenkapitalausstattung sowie der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage“ und „Ausbau der Vermittlungs-, Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen des AMS.“
Dennoch steht der nächste Karriereschritt an: Christine Aschbachers zweifelhafte wissenschaftliche Arbeiten werden publik, während bei Kocher niemand so genau hinsieht und dieser als über alle Zweifel erhabener unabhängiger Experte als Minister präsentiert wird.
Zweifelhafte Positionen
Dabei bezog dieser auch in der Vergangenheit treffsicher falsch Position. Medial überliefert sind Kochers Wünsche nach einer Senkung der Abgabenquote auf 40 Prozent, angedachte Kürzungen bei den Pensionen wie eine Erhöhung des Antrittsalters und eine Schwächung der staatlichen Säule zugunsten privater Vorsorge am Kapitalmarkt, die Ablehnung einer Erbschaftssteuer und lobende Worte für Hartz IV, das in Deutschland Millionen Menschen direkt und indirekt über die Schaffung eines Niedriglohnsektors in die Armut geführt hat. Ebenso bekannt sind Kochers Befürwortung einer Liberalisierung der Öffnungszeiten bis zur Sonntagsöffnung im Handel und die Ablehnung einer Arbeitszeitverkürzung.
Desaströse Daten
Österreich leidet aktuell unter dem stärksten Wirtschaftseinbruch in der EU. Das Bruttoinlandsprodukt ist im vergangenen Jahr um 7,8 Prozent geschrumpft, während es EU-weit gerade einmal 4,8 Prozent sind. Unser nördlicher Nachbar Deutschland verzeichnet ein Minus von 3,9 Prozent.
Ende des letzten Jahres waren, trotz massiven Einsatzes von Kurzarbeit, 520.000 Menschen in Österreich arbeitslos. Damit stieg die Zahl der Arbeitslosen und Schulungsteilnehmer gegenüber dem Vorjahr um 27,7 Prozent an. Gleichzeitig stieg auch die Zahl der in Kurzarbeit befindlichen gegenüber dem Vormonat um 140.000 Personen an.
Neben den gesundheitspolitischen Fehlern hat auch die Arbeitsmarktpolitik der türkis-grünen Regierung ihren negativen Einfluss auf die Beschäftigung im Land. Der Ökonom Stephan Schulmeister kritisiert dabei den Fokus der Staatsausgaben auf Unternehmenssubventionen. Seiner Ansicht nach führen etwa Hilfen für die Hotellerie nicht dazu, dass in der Krise die reale Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen gestärkt wird. Schulmeister schlägt daher vor, das Arbeitslosengeld so rasch als möglich zu erhöhen.
Kein Gegengewicht!
In vielen bisherigen Regierungen stellte das Arbeitsministerium ein Gegengewicht zum Wirtschaftsministerium dar, Minister kamen aus den Reihen der Gewerkschaft und sollten die Interessen der Beschäftigten vertreten. Zum Bruch mit dieser Tradition kam es unter Schwarz-Blau im Jahr 2000. Wie Martin Bartenstein stellt Martin Kocher kein Gegengewicht zum Wirtschaftsministerium dar. Er vertritt nicht die Interessen der Beschäftigten und Arbeitslosen, er verrät sie.
Im ZIB2-Interview mit Armin Wolf stellte Kocher als Minister klar, dass er sich schon als Experte gegen eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes ausgesprochen hatte und an dieser Position festhält. Seiner Meinung nach wäre es jetzt nicht die Zeit ein Arbeitslosengeldreformkonzept vorzulegen. Von Wolf damit konfrontiert, dass eine Erhöhung der Nettoersatzrate von 55 auf 70 Prozent ja keine große Reform sei antwortet er mit der Gegenfrage, ob man so etwas kurzfristig machen kann.
Eine Diskussion über das Arbeitslosengeld möchte Kocher überhaupt erst nach der Akutphase der Krise beginnen. Ein Minister, der in einem seiner ersten Interviews derartig argumentiert, der disqualifiziert sich spätestens damit sowohl als Vertreter der arbeitenden Menschen als auch als Experte.
Georg Erkinger ist GLB-Bundesvorsitzender und Arbeiterkammerrat in der Steiermark