Mit der „Reform“ an die Wand

Leo Furtlehner über die schwarz-blaue Kassenreform

Von einer „Patientenmilliarde“ schwärmte die schwarz-blaue Koalition, als sie 2019 die Krankenkassenfusion durchboxte. Die Hauptakteure dieser „Reform“ sind mittlerweile vom Wind der Geschichte verweht worden. Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz Christian Strache scheitere in Ibiza, Kanzler und ÖVP-Boss Sebastian Kurz an den Chats.

Statt einer Milliarde zugunsten der Versicherten erwies sich die Fusion der neun Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) als Desaster. Und einmal mehr zeigt sich, dass der einst hoffnungsvolle Begriff „Reform“ in neoliberalen Zeiten längst zur gefährlichen Drohung verkommen ist.

Peter Lehner, Obmann des von 21 auf fünf Sozialversicherungsträger geschrumpften Dachverbandes, schwärmt zwar, dass die Fusion „nicht mehr umstritten“ sei und „effizientere Strukturen“ geschaffen habe (OÖN, 25.3.2022). Aber sogar OÖN- Chefkommentator Gerald Mandlbauer muss einräumen, dass von den großartigen Erwartungen und Versprechungen der Fusion „selbst in Ansätzen nichts zu sehen“ ist. Und „nichts sei billiger und auch nichts besser geworden“.

Mehrausgaben statt Einsparungen

So ist der Personalaufwand der ÖGK – mit 7,2 Millionen Versicherten mit Abstand größter Träger – 2021 um 3,2 Prozent bzw. 67 Mio. Euro, der Personalstand um 297 Vollzeitäquivalente gestiegen. Bei Medikamenten und Heilbehelfen gab es 2020 ein Plus von 5,7 und 2021 nochmals von 6,7 Prozent. Statt der für 2021 prognostizierten Einsparungen von 99 Mio. Euro gab es ein Plus von 300 Mio. Euro.

ÖGK-Boss Bernhard Wurzer „führt ein straffes Regiment und schlägt alles über einen Leisten“, regionale Interessen prallen an ihm ab wie auf Teflon. Keine Spur auch von einer Vereinheitlichung der Leistungen. Fakt ist eine Dreiklassengesellschaft, an deren Spitze die 15 Krankenfürsorgeanstalten für Beamte und Lehrer*innen stehen, die von der „Reform“ ausgenommen wurden. Auch Landwirt*innen, Selbständige und Eisenbahner*innen sind vergleichsweise gut gestellt. Hingegen rangieren die Lohnabhängigen als Versicherte der ehemaligen neun Gebietskrankenkassen weiterhin in der „Holzklasse“.

Zuwenig Kassenstellen

Das schlägt sich etwa in einer Ausdünnung der Kassenarztstellen nieder. Deren Kehrseite ist der Zwang teure Wahlärzte in Anspruch nehmen zu müssen, wobei die Kosten von der ÖGK nur teilweise ersetzt werden. De facto also eine Privatisierung durch die Hintertür. Mit Stichtag 1. Jänner 2022 waren allein in Oberösterreich in Summe 71 Kassenarztstellen vakant. Noch dramatischer ist die Situation in der Zahnmedizin, wo von 382 Kassenstellen gleich 26 unbesetzt sind (OÖN, 11.3.2022).

In Oberösterreich erwies sich das Zuckerbrot, dass 500 Mio. Euro von der früheren OÖGKK nach Wien überwiesene Rücklagen nach der Fusion wieder zurückfließen würden als Lug und Trug. Angeschmiert ist die Landesstelle der ÖGK auch bei Wünschen zur Finanzierung von Projekten, weil dies stets mit einer Kofinanzierung des Landes junktimiert wird.

Bei der Bewältigung der Corona- Pandemie haben sich die Krankenkassen so auffallend dezent herausgehalten, dass ihre Gemeinwohlorientierung hinterfragt werden muss.  Die Lage des Gesundheitswesens erweist sich insbesondere in Oberösterreich als besonders kritisch. Davon zeugen hohe Infektionszahlen und dadurch starke Belegung von Spitals- und Intensivbetten, Personalmangel und ein das Personal an der Belastungsgrenze. Dazu kommen die niedrigste Impfrate, politisches Versagen insbesondere der allmächtigen ÖVP und eine besonders rege Szene von Corona- Leugner*innen und Impfgegner*innen.

Doch die für das Spitalswesen zuständige ÖVP-Politikerin Christine Haberlander schwadroniert nur recht vage über eine „Berücksichtigung regionaler Interessen“. Die ÖGK hat ihrerseits kein Interesse daran, die Spitäler zu entlasten, weil diese vor allem vom Land und den Gemeinden finanziert werden. Und von den bis Ende 2021 bundesweit geplanten 75 medizinischen Primärversorgungszentren gibt es bis dato nicht einmal die Hälfte.

Politische Umfärbung

Bestätigt hat sich nur, dass Sinn und Zweck der Fusion vor allem waren, den traditionell rot eingefärbten Hauptverband schwarz umzufärben und vor allem den Einfluss der Gewerkschaften auf die Sozialversicherung zugunsten der Unternehmervertretung weitgehend zurückzudrängen und die koordinierende Rolle des Hauptverbandes zu zerstören. Denn die als „Alphatiere“ agierenden Bosse der jetzt nur mehr fünf Versicherungen lassen sich vom Dachverband kaum was sagen.

Eine Entwicklung die auch Patientenanwalt Gerald Bachinger besorgt verfolgt, der meint „ohne ein stärkeres Element der Koordinierung wird es auf Dauer jedoch nicht gehen“. Als Resümee lässt sich demnach nur konstatieren, dass die hochgejubelte Kassenfusion nur ein Baustein mehr in einer neoliberalen Strategie ist mit welcher das öffentliche Gesundheitswesen als wesentliches Element des in Jahrzehnten erkämpften Sozial- staates systematisch an die Wand gefahren wird.

Cartoon: Karl Berger, www.zeichenware.at

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