Lieferketten menschlicher machen

Peter Karl Fleissner über die globalisierte Produktion

Selten, aber doch geht dem Kapitalismus das selbstverursachte Chaos in der Wirtschaft zu weit. Nach Marx und Engels ist die Anarchie der Produktion ein zentrales Merkmal dieser Gesellschaftsordnung: „Der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung reproduziert sich als Gegensatz zwischen der Organisation der Produktion in der einzelnen Fabrik und der Anarchie der Produktion in der ganzen Gesellschaft.“ (MEW 20 255)

Während in einem Unternehmen sorgfältig geplant wird, damit der Gewinn möglichst hoch ausfällt, endet die Planung beim Fabrikstor. Außerhalb herrscht Unordnung. Jedes Unternehmen macht, was es will. Es gibt weder einheitlichen Bedingungen der Produktion noch eine Planung der gesamten Wirtschaft.

Aus einem besonderen Blickwinkel bemerkte diesen Missstand auch die Europäischen Union. Unter Berufung auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte von 2011 hat die Kommission festgestellt, dass die globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten häufig grundlegende Menschenrechte verletzen und die Umwelt schädigen.

Die Fakten liegen auf dem Tisch: Weltweit müssen 152 Millionen Kinder – davon die Hälfte unter elenden Bedingungen – arbeiten und 25 Millionen Menschen Zwangsarbeit leisten. Wälder werden weiter illegal abgeholzt und Müll und Gift landen immer noch in unseren Meeren und im Grundwasser.

Bisher konnte aber niemand diese Unternehmen belangen und Schadenersatz dafür einklagen. Das soll nun anders werden. Um in Zukunft gegen unhaltbare Bedingungen in Unternehmen vorgehen zu können, hat das Europäische Parlament Anfang März einen Entschließungsantrag für ein verbindliches europäisches Lieferkettengesetz angenommen, mit dem Unternehmen haftbar gemacht werden können, wenn sie Menschenrechte, Umweltstandards und gute Unternehmensführung verletzen oder dazu beitragen.

Die Regeln zur Sorgfaltspflicht für Lieferketten soll den Zugang zu Rechtsmitteln für Geschädigte garantieren. Alle Unternehmen in der EU sollen in die Pflicht genommen werden, damit Menschenrechtsverletzungen und Umweltsünden auch im Ausland verbindlich abgestellt werden.

Beinahe gleichzeitig fand in Deutschland eine Parallelaktion statt. Nach zähen Verhandlungen in der Koalition aus CDU und SPD hat das deutsche Bundeskabinett ebenfalls ein Lieferkettengesetz beschlossen, das weniger weit als das der EU geht: „Mit dem Lieferkettengesetz schützen wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Ausbeutung entlang der weit verzweigten Lieferketten“, erklärte der Vizekanzler und SPD- Kanzlerkandidat Olaf Scholz in Berlin.

Für Marxist*innen ist das allerdings nicht überzeugend, denn alle Lohnabhängigen werden – wenn auch unterschiedlich – ausgebeutet. Das Gesetz wird ab 2023 Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten und ab 2024 solche mit mindestens tausend Mitarbeitern zu strengeren Sorgfaltspflichten zwingen. Die Unternehmen müssen Menschenrechtsverletzungen bei ihren direkten Zulieferern ausschließen und für die weitere Lieferkette einen Beschwerdemechanismus einrichten.

Die Umwelt wird allerdings nur indirekt geschützt, nämlich erst dann, wenn sie zu gesundheitlichen Belastungen der Menschen führen (z.B. durch vergiftetes Wasser). Verstöße sollen laut Gesetzentwurf mit Geldbußen von 100.000 Euro, 500.000 Euro oder sogar 800.000 Euro geahndet werden. Die für die Kontrolle zuständige Behörde kann bei Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 400 Millionen Euro eine Geldbuße von bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes verhängen.

Während Unternehmensvertreter*innen das Gesetz kritisieren, da es wettbewerbsverzerrend wäre und den eigenen Profit mindern würde, geht es den Menschenrechtsaktivist*innen zu wenig weit. Die LINKE im deutschen Bundestag bezeichnete den Entwurf als „inakzeptabel“ und als „grüngewaschenes Feigenblatt“. Der Abgeordnete Michel Brandt erklärte: „Der Entwurf ist eine Aufforderung zum Wegschauen.“

Und hierzulande? Die österreichische Bundesregierung hinkt trotz expliziter Forderungen der Zivilgesellschaft wie so oft mit einem entsprechenden Gesetz nach. Seit Oktober 2020 fordert die Kampagne „Menschenrechte brauchen Gesetze! – Damit Lieferketten nicht verletzen!“ (www.nesove.at) ein Lieferkettengesetz auf nationaler und EU-Ebene sowie verbindliche Regeln für das UN- Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten.

Die Kampagne wird von ÖGB, AK, Netzwerk soziale Verantwortung (NeSoVe), attac und anderen NGOs mitgetragen und steht auch im Austausch mit der deutschen „Initiative Lieferkettengesetz“. Darüber hinaus wurde im November 2020 eine von Parteien, NGOs und Interessenverbänden unabhängige Bürgerinitiative für ein Lieferkettengesetz ins Leben gerufen (www.lieferkettengesetz.at).

Peter Fleissner ist Ökonom und lebt in Wien

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert