Liberale Doppelmoral
Lukas Gneist über individuelle Freiheit im Neoliberalismus
Die Diskussion über die Reduktion der Arbeitszeit und gesellschaftlich notwendiger Arbeit wird oft von liberalen Ideologen und neoliberalen Ökonomen aufgegriffen, um populistisch gegen Geringverdiener*innen und Teilzeitkräfte vorzugehen.
Sie preisen zwar die individuelle Freiheit als höchstes Gut, aber klagen Arbeitende an, die freiwillig in Teilzeit arbeiten. Diese Doppelmoral ist erschreckend und verdeutlicht, dass diese Menschen kein Interesse daran haben, die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung zu berücksichtigen.
Geflissentlich wird ignoriert, dass die gewonnene Freiheit durch eine verkürzte Arbeitszeit oft für ehrenamtliche Zwecke verwendet wird, die üblicherweise gesellschaftlich notwendige Arbeit ist. Im Gegensatz dazu ist die klassische Lohnarbeit nicht immer dermaßen einzuordnen.
Viele Menschen arbeiten in Jobs, die keinen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten, sondern lediglich zur Erhaltung des kapitalistischen Systems beitragen. Die Möglichkeit, weniger zu arbeiten und mehr Zeit für ehrenamtliche Tätigkeiten zu haben, ist daher ein Schritt in Richtung einer gerechteren und solidarischen Gesellschaft.
Selbst wenn die gewonnene Freizeit für Erholung genutzt wird, besitzt dies gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Mehrwert. Eine verkürzte Arbeitszeit führt zu einer Verbesserung der Gesundheit und der Steigerung der Produktivität. Wenn Arbeitende mehr Zeit haben, um sich zu erholen und ihre Freizeit aktiv zu gestalten, werden sie insgesamt gesünder und produktiver sein. Das wiederum führt zu einer höheren Arbeitsqualität und letztendlich zu einem höheren Wohlstand in der Gesell- schaft.
Die Politik ist gefragt, die gesellschaftliche Notwendigkeit von Arbeiten zu indexieren und dementsprechende steuerliche Anreize zu setzen. Vermieter*innen und Broker sollen übermäßig höher besteuert werden als Pflegekräfte und andere Berufe, die einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten. Die Belastung dieser Indexierung darf allerdings nicht wieder auf die Arbeiterklasse in einschlägigen Branchen abgewälzt werden, sondern Kapitalist*innen, welche parasitär auf Kosten der Arbeitenden leben, sollen einen gerechteren Preis dafür zahlen.
Dieses zusätzlich abgeschöpfte Steuergeld sollte an ehrenamtliche Institutionen zurückfließen, die im kapitalistischen System in die Freiwilligkeit getrieben wurden. Viele ehrenamtliche Organisationen und Projekte haben Schwierigkeiten, ihre Arbeit zu finanzieren, da sie nicht auf Profit ausgerichtet und daher auf Spenden und Freiwilligenarbeit angewiesen sind.
Durch die Bereitstellung von zusätzlichen Steuermitteln können diese Institutionen und Projekte ihre Arbeit fortsetzen und ausbauen. Darüber hinaus würde die Bereitstellung von Steuermitteln für ehrenamtliche Arbeit auch dazu beitragen, das gesellschaftliche Engagement zu fördern und die Beteiligung an ehrenamtlichen Aktivitäten zu erhöhen.
Insgesamt sollten wir uns als Gesellschaft fragen, welche Art von Arbeit wirklich notwendig ist und welche nicht. Die Reduktion der Arbeitszeit und die Indexierung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit sind wichtige Schritte hin zu einer gerechteren und solidarischen Gesellschaft. Es ist an der Zeit, dass wir uns von der Ideologie des Neoliberalismus verabschieden und uns auf Solidarität und Gemeinwohl ausrichten.
Lukas Gneist ist Techniker und lebt im Burgenland