Kürzer treten
Da ich als Nachwuchsjournalist stets nur gratis arbeiten durfte, war mein erster – schlecht bezahlter – Lohnarbeitsplatz ein Callcenter: Hier können reiche Konzerne günstige Dienstleistungen zukaufen, während der Kundschaft heile Welt vorgespielt wird. Einzig überraschend war unerwarteter Kontakt mit der Arbeitszeitverkürzung (AZV).
Gab es wenig eingehende Anrufe oder Aufträge aktiv abzutelefonieren, wurden die meisten von uns vom Chef nach Hause geschickt. Aus dem vereinbarten 8-Stunden-Tag war taggleich ein einseitig angeordneter 3-Stunden-Kurztrip geworden: Selbstverständlich wurde von uns rechtswidrig verlangt, die unfreiwillig eingesparten Zeiteinheiten an einem anderen Tag wieder einzuarbeiten.
Kürzer treten darf schließlich nur der Unternehmer. Wehe den Arbeitenden, wenn sie etwas dagegen unternehmen: Kündigungsfreiheit und niedriges Arbeitslosengeld disziplinieren erfolgreich. Der Betriebsrat in Gründung wurde gekündigt.
Verkürzung – auf wessen Kosten?
Im Handel ist Teilzeit die am meisten angebotene Form von Arbeit. In vielen Bereichen reduzieren Beschäftigte ihre Arbeitszeit, weil sie aus gesundheitlichen Gründen keine 40-Wochenstunden arbeiten können. In einigen Kollektivverträgen haben die Sozialpartner eine „Freizeitoption“ vereinbart: Klingt gut, bedeutet jedoch den Verzicht auf Inflationsabgeltung gegen Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit. Einige Arbeitende brauchen temporär mehr Zeit für Care-Arbeit oder ihre Ausbildung.
Alle diese Formen finden im Alltag statt. Problem: Sie sind finanziell einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer:innen erkauft und bringen reale, massive Einkommensverluste. Das gilt auch für Sonderformen, wie sie bei Elternteilzeit oder Bildungskarenz bestehen. Die Herrschenden profitieren mehrfach: mehr Wissen, weniger Lohnkosten, kein Risiko. Der Abwehrkampf dient dem Beibehalten des Status Quo.
Weit weg von der Benya-Formel
Im Arbeitsrecht gilt: Unselbstständig Erwerbstätige schulden nur das Bemühen, nicht den Erfolg. Trotzdem wird in der Arbeitswelt von uns meistens ein Erfolg oder ein konkretes Endergebnis erwartet. Die dafür nötige Arbeitszeit tritt in den Hintergrund. In welcher Zeitspanne die Beschäftigten ihre Ergebnisse oder immer höher gesteckten Ziele erreichen, interessiert oft nicht.
Schon gar nicht im Homeoffice, wo praktischerweise auch noch die soziale Schutzschicht des persönlichen, physischen Kontaktes wegfällt. Die Gewinne an Produktivität streicht die Kapitalseite ein und profitiert sohin doppelt. Mit einer sozialpartnerschaftlichen Benya-Formel und dem Teilen der Produktivitätsgewinne hat das Ganze nicht einmal mehr im Ansatz zu tun. Es ist vielmehr die Bankrotterklärung einer nur vermeintlich konsequenten Interessensvertretung.
Unbezahlte Arbeit wird immer mehr
Neben leidvoll bekannter Care-Arbeit in Haushalt und Familie sind auch Pensionist:innen immer mehr von Kundenarbeit betroffen: Konzerne und Behörden sparen ihre Betreuung ein, denn: Arbeiten dürfen wir. Sei es durch Dateneingabe, Self Service, Eigenrecherche, Reklamationsmanagement und in vielen anderen Bereichen: Was früher Angestellte über- nahmen, dürfe heute die Kund:innen selbst tun.
Gleichzeitig wurde das Pensionsantrittsalter für Frauen um fünf Jahre erhöht, obwohl unsere Gesellschaft heute viel produktiver ist als noch im Jahr 2000. Apropos Jahrtausendwende: Damals hatten wir mehr Beschäftigte in Kollektivverträgen mit geringerer Wochenarbeitszeit als heute.
Denken wir an den gekündigten Drucker- oder Sparkassen-KV. Obwohl unser gesellschaftlicher Reichtum kleiner war als heute, betriebs- und volkswirtschaftlich problemlos leistbar. Jetzt nach oben hin umverteiltes Geld dient stets wolkiger Spekulation an den hohen Märkten – bis uns dieser vergiftete Himmel auf den Kopf fällt.
30-Stunden – gute Norm
Mit einem neuen Vollzeitstandard von 30 Wochenstunden kann die „Teilzeitfalle“ für Frauen fortschrittlich gelöst werden. Die Verteilung der Care-Arbeit wird erleichtert. Gleichzeitig sinken Gesundheitskosten, weil Prävention in den Vordergrund rückt. Was uns bereits gesunder Menschenverstand sagt, bestätigen sozialwissenschaftliche Studien aus aller Welt.
Trotzdem wird es nicht genügen die Probleme der Arbeitenden nur aus dem Blickwinkel von Arbeitszeitverkürzung zu beleuchten: Es wird darauf ankommen, wie durchschaubar und sinnstiftend unsere Tätigkeiten sind. Das flüsterte uns Oscar Wilde bereits 1891 in „Der Sozialismus und die Seele des Menschen“ zu: Straße fegen bei scharfem Ostwind sollten wir besser den Maschinen überlassen.
Jedenfalls: Wenigstens in den Wegzeiten zwischen unserer (Kunden-)Arbeit bleibt etwas Zeit, um lesend nachzudenken. Mit oder ohne Callcenter. Bleiben wir gesund. Treten wir kürzer.
Ewald Magnes ist Angestellter bei UniCredit Services und GLB-Aktivist in Wien
Cartoon: Karl Berger, www.zeichenware.at