Kinder, Küche, Kapitalismus
Alexandra Weiss über Frauen(erwerbs)arbeit und Sittlichkeit
Frauenarbeit wurde seit Beginn der modernen bürgerlichen Gesellschaft entweder negiert oder problematisiert. Wurde Reproduktionsarbeit schlicht nicht als Arbeit, sondern als Liebesdienst gewertet, wurde die Arbeit gegen Lohn von Frauen unter den Aspekten von Sittlichkeit und Moralität diskutiert – und zwar bis in die Mitte es 20. Jahrhunderts.
Noch Anfang der 1960er Jahre sprach etwa der Innsbrucker Bischof Paulus Rusch von einem „scheußlich erotisierten Klima“ in den Fabriken. Die Arbeiterin sah er dabei als sittlich gefährdet und gefährdend. Die Fabrik: kein Ort für Frauen.
Deshalb, und weil die Arbeit außer Haus der Ordnung in der Familie widerspräche, wurde weibliche Berufstätigkeit kritisiert und für die unterschiedlichsten gesellschaftliche Verwerfungen verantwortlich gemacht. Der Familienlohn für den Mann – gefordert von Gewerkschaftern wie Kirchenvertretern – sollte das Problem lösen.
Aber die Arbeiterin war nicht mehr wegzudenken aus der Entwicklung des Kapitalismus. Das stellte schon Friedrich Engels in seiner Studie „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ aus den 1840ern fest.
Die Arbeiterin wurde so zu einer Anomalie in einer Welt, in der Lohnarbeit und Verantwortung für die Familie zu räumlich getrennten Ganztagstätigkeiten werden sollten.
Geschlechterordnung und Sozialstaat
Geschlecht wurde also neu „erfunden“: Frauen und Männer wurden zu homogenen Gruppen mit verschiedenen Fähigkeiten und Zuständigkeiten gemacht. Die Geschlechterdifferenz diente der Rechtfertigung sozialer Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und der Abwertung von Frauen und ihrer Arbeit. Diese Geschlechterordnung wirft ihre langen Schatten bis in unserer Gegenwart, denn sie fand Eingang in den modernen Sozialstaat und die Denkweise der Menschen.
Das politische Subjekt des Sozialstaates im 20. Jahrhundert war der (männlich, inländische) Arbeitsbürger. Dass er eine Hausfrau hat, gehörte mit zum Programm. Sie sollte nicht Bürgerin, sondern seine Ehefrau sein und ihm untergeordnet: Politisch kaum repräsentiert, ökonomisch abhängig, konfrontiert mit einer sexistisch strukturierten Kultur und Öffentlichkeit, die den Wert ihrer Arbeit systematisch negierte und die Selbstbestimmung über ihren Körper permanent in Frage stellte.
In die kollektiven Formen von Umverteilung und Solidarität im Sozialstaat wurden Frauen und Männer grundlegend verschieden eingebunden: Männern wurde Sicherheit über die Sozialversicherung garantiert, Frauen wurden auf die Ehe/Familie bzw. die Stabilität ihrer Beziehung verwiesen. Und das gilt für einen Großteil der Frauen heute noch. Ihre Reproduktionsarbeit ist zwar Grundlage wirtschaftlicher Entwicklung, dennoch wird sie nicht abgesichert oder vergesellschaftet und bis heute kaum als politische Frage ernst genommen.
Neoliberale Geschlechterpolitik
Mit der Veränderung von Produktionsweise, Erwerbsarbeit, Familienstruktur und jener des sozialstaatlichen Gefüges, ergaben sich neue Rahmenbedingungen für die Organisation der Reproduktion. Während der Staat seine Verantwortung dafür nach und nach aufgab, fehlte den Menschen dafür zunehmend Zeit und/oder Geld.
Und obwohl Frauen verstärkt in den Arbeitsmarkt integriert wurden, wurden sie als unbezahlte Reproduktions-Arbeiter*innen einkalkuliert – die Corona-Krise hat uns das deutlich gezeigt. Angesichts von Krise, Sozialstaatsabbau und Entsolidarisierung sollen sie Bedürfnisse ihrer Umgebung auffangen – um den Preis einer Doppel- und Dreifachbelastung.
Es ist ein „Erfolg“ neoliberaler Politik, dass Diskussionen über Geschlechterverhältnisse heute weitgehend unter Absehen von der Kategorie Klasse stattfinden und Fragen der Umverteilung ausgeklammert bleiben. War in der Frauenpolitik der 1970er und 1980er Jahre noch klar, dass Frauenemanzipation ohne ökonomische Unabhängigkeit nicht zu haben ist, breitete sich seit den 1990ern eine „Jede ist ihres Glückes Schmiedin“-Ideologie aus, die das Gelingen von Gleichberechtigung zum individuellen Projekt machte. Wer nicht emanzipiert ist, ist selbst schuld!
Resümee
Emanzipatorische Geschlechterpolitik setzt die Lösung des Widerspruchs zwischen Erwerbs- und Reproduktionsarbeit und eine politische Beschränkung der Macht des Marktes voraus. Nach Jahrzehnten marktliberaler Politik mit ihren desaströsen Folgen, braucht es eine Neuverteilung sozialer Aufgaben zwischen Staat, Markt und Familie. Es gilt die staatliche Verantwortung dafür wieder wahrzunehmen, anstatt die Widersprüche und Konflikte auf die Menschen abzuwälzen und damit zu individualisieren.
Werden die Bedürfnisse der Menschen nicht wieder zum Ausgangspunkt und Maßstab von Gesellschaftsgestaltung, verliert Politik ihre Legitimation – und überlässt anti-demokratischen Strömungen zunehmen den politischen Raum.
Alexandra Weiss ist Politikwissenschafterin in Innsbruck