(K)ein Grund zum Jubeln?
80.449 neue ÖGB-Mitglieder
Der ÖGB wird jünger, weiblicher und stärker, wenn man den Ausführungen auf der eigenen Website Glauben schenken darf. Mehr als 80.000 Arbeitnehmer*innen und Lehrlinge sind im vergangenen Jahr der Gewerkschaft beigetreten. ÖGB Präsident Katzian zeigt sich über das gestiegene Vertrauen in die Gewerkschaftsbewegung erfreut und sieht, dass der ÖGB stärker wird.
Der Frauenanteil ist mit 37,1 Prozent der höchste in der Geschichte des ÖGB. Im Umkehrschluss bedeutet das freilich auch, dass noch immer fast 63 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder männlich sind. Auch die eindrucksvolle Zahl von 80.000 neuen Mitgliedern muss in Relation zu der Zahl Mitglieder, die der ÖGB im vergangenen Jahr verloren hat, gesetzt werden. Netto beträgt das Plus lediglich 3.153 Mitglieder.
Knapp 1,2 Millionen Mitglieder hat der ÖGB derzeit. Es waren schon einmal deutlich mehr. Den Spitzenwert erreichte man in der ersten Hälfte der 1980iger Jahre. Damals waren es fast 1,7 Millionen Mitglieder. In absoluten Zahlen ist der Mitgliederstand des ÖGB derzeit nach wie vor einer der niedrigsten seiner Geschichte – die unmittelbaren Nachkriegsjahre des zweiten Weltkrieges einmal ausgenommen.
Setzt man die Entwicklung in Relation zur stark gestiegenen Zahl der unselbstständig Erwerbstätigen, so fällt die Betrachtung noch einmal negativer aus. Zwischen 2009 und 2019 stieg diese Zahl um rund 450.000, die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder sank jedoch um rund 5.000. Heute liegt sie noch einmal darunter, während die Zahl der Erwerbstätigen wieder einmal deutlich zugenommen hat.
Statt Jubelmeldungen zu veröffentlichen wäre eine selbstkritische Analyse der Situation angebracht. Dessen ungeachtet ist und bleibt die Bedeutung gewerkschaftlicher Organisierung für alle Lohnabhängigen in Hinblick auf verschärfte sozialpolitische Auseinandersetzungen wichtiger denn je.
Georg Erkinger