(K)ein Anlass zum Umdenken?
Peter Karl Fleissner über Schlussfolgerungen aus der Krise
Zu Beginn der Corona-Krise im Vorjahr war ich noch ziemlich optimistisch, dass durch die Krise gesellschaftliche Probleme, an denen wahrlich kein Mangel herrscht, auch in den Massenmedien offengelegt werden.
Wäre unsere Gesellschaft vernünftig aufgebaut, sollten nach dem Dreischritt: Erkennen – Urteilen – Handeln Reformen vorgenommen werden, um die Missstände zu beseitigen. Wie wurden doch zu Beginn die sogenannten systemrelevanten Berufe beklatscht und in den Medien als Held* innen verehrt! Die versprochenen Extraprämien hielten sich aber in Grenzen.
Nun ist mehr als ein Jahr vergangen, aber die großen Verbesserungsvorschläge lassen auf sich warten. Immerhin scheint die Pandemie ihren Höhepunkt in Österreich überschritten zu haben. Auch die Lage am Arbeitsmarkt entspannt sich und die Wirtschaft läuft wieder an.
Wichtig war für die Lohnabhängigen die Möglichkeit der öffentlich geförderten Kurzarbeit, die es den Betroffenen erlaubt, nach Ende der Einschränkungen sofort wieder ihre Arbeit dort aufzunehmen, wo sie sich zu Beginn des Lockdowns befunden haben.
Immerhin nützte diese Maßnahme im Mai 2020 mehr als 1,3 Millionen Menschen. Für die hunderttausenden Arbeitslosen ist die Situation problematischer, erstens ist das Arbeitslosengeld niedrig und befristet und zweitens ist es unsicher, ob und bis wann wieder ein vertretbarer Arbeitsplatz mit einem menschenwürdigen Einkommen zur Verfügung stehen wird.
Andererseits hat die Corona-Krise Umweltbelastungen reduziert, allerdings nicht nach einem vorgefassten Plan, sondern nach Maßgabe der Beschränkungen, die wegen der Pandemie nötig geworden waren. Zu Recht wurde die Regierung in mehrfacher Hinsicht kritisiert, dass die verhängten Maßnahmen manchmal widersprüchlich, schwer nachvollziehbar und in einigen Fällen verfassungswidrig waren. Auch die Förderungen, die reichlich flossen, waren nicht immer treffsicher, dafür aber intransparent.
Auf EU-Ebene war man unvorbereitet in die Pandemie getorkelt. Einmal mehr zeigte sich die Führungsschwäche in der mangelnden Koordination der Pandemiebekämpfung auf europäischer Ebene, bei der Aufrechterhaltung der Lieferketten, der Beschaffung von Masken, von Schutzkleidung, von Beatmungsgeräten und schließlich Impfstoffen.
Gegenüber dieser Stückwerk-Politik wäre es wichtig, wenn gerade die systemrelevanten Bevölkerungsgruppen, die Lohnabhängigen, ihre Wünsche für die Zukunft formulieren und mit Nachdruck vertreten würden. Hier sind alle links orientierten Parteien, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften und die Zivilgesellschaft gefordert, derartige Konzepte zu entwickeln und nicht auf flügellahme Reförmchen zu warten, die von falscher Stelle beschlossen werden.
Wohin soll die Reise gehen?
In dem relativ jungen Wissenschaftszweig Zukunftsforschung wurden Methoden erarbeitet, die es ermöglichen, umfassendere Zukünfte zu erstellen. Der radikalen Linken geht es dabei um Veränderungen in Richtung Sozialismus, die letztlich erst durch eine Veränderung der Machtverhältnisse realisiert werden können. Auch die Forderungen selbst können auf sie Einfluss haben.
Ich kann hier nur einige Hinweise geben, wie ein solches Konzept aussehen könnte. Es geht um eine Neuorientierung auf eine solidarische Gesellschaft, wo die Ungleichheit auf ein vertretbares Niveau reduziert wird. In der Wirtschafts- und Industriepolitik sind öffentliche Investitionen in die Infrastruktur wichtig, die sowohl zu einer Verbesserung der Lebens- und Umweltqualität als auch zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beitragen.
Dadurch kann der Wohlfahrtsstaat ausgebaut und die soziale Sicherheit erhöht werden. Bildung, Gesundheit, Pflege, Wohnen und Transport sollten leistbar gestaltet werden. Die versteckte oder offene (Teil-)Privatisierung von öffentlichen Einrichtungen muss rückgebaut werden. In der Nach-Corona-Zeit wäre die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens zu überlegen.
Der Staat sollte die Innovationsfähigkeit auch der privaten Unternehmen stärken – mit entsprechender Gegenleistung. Der Einfluss der Finanzmärkte ist per Gesetz zu beschränken. Die Besteuerung großer Gewinne bzw. Vermögen ist sicherzustellen, Steuerflucht ist zu verhindern. Die Gründung gemeinwirtschaftlich orientierter Betriebe (z.B. Internetplattformen), die Übernahme von privaten Unternehmen in z.B. genossenschaftliches Eigentum ist zu fördern, wobei entsprechende Motivation und Schulungen nötig sind.
Eine menschenwürdige Lösung der Asylfrage und eine gemeinsame Migrationspolitik der EU sind eine wichtige Voraussetzung zur Aufnahme von Flüchtlingen in Europa. Besonderes Augenmerk ist auf die Verteilung der Rückzahlung der Krisenlasten zu legen, wobei die finanzielle Leistungsfähigkeit ein zentrales Kriterium sein muss. Alle diese Maßnahmen sind im Geist von Gerechtigkeit, Transparenz und demokratischer Mitwirkung einzuführen.
Peter Karl Fleissner ist Ökonom und lebt in Wien
Cartoon: isw, München