Kampf um die Köpfe
Anne Rieger über kreativen Klassenkampf von oben
Die Beschäftigten der Wiener privaten und städtischen Kindergärten, Horte und schulischen Freizeitbetreuung haben am Dienstag bei einer Großdemonstration bessere Rahmenbedingungen gefordert. Ein hervorragender Auftakt für den Kampf um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für die KV-Auseinandersetzungen des Herbstes.
Denn von der Kampfkraft zur Kreativität möchte Agenda Austria-Ökonom Jan Kluge die Konflikte um die Lohnerhöhungen führen. Damit die Metall-Unternehmer:innen nicht 11,6, die Handelsunternehmer:innen nicht elf Prozent höhere Löhne zahlen müssen, entwickeln die intellektuellen Diener aus den „Denkfabriken“ des Kapitals, hinterhältige Ideen. Die Beschäftigten sollen unbemerkt übers Ohr gehauen werden. Hier eine kleine Auswahl.
Einmalzahlungen
Die Metall-Unternehmer wollen die Beschäftigten – bei einer rollierenden Inflationsrate von 9,6 Prozent – mit schäbigen 2,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt abspeisen. Weil jeder die Kriegserklärung, die in der gewaltige Differenz zu den geforderten 11,6 Prozent liegt, erkennt, locken die Gehilfen in den „Denkfabriken“ mit einer steuer- und abgabenfreien Einmalzahlung von 1050 Euro. Mit der scheinbar gewaltigen – aber einmaligen – Summe soll verschleiert werden, dass sich damit strukturell gar nichts ändert, an dem viel zu niedrigen Anteil vom Mehrwert, den die Beschäftigten Jahr für Jahr erarbeiten.
Wie der Name schon sagt, wird die scheinbar großzügige Summe einmalig im Jahr des Abschlusses gezahlt. Sie ist nicht tabellenwirksam und somit kein Ausgleich für die beständigen jährlichen Teuerungen – Inflation genannt. Selbst wenn die Inflationsrate zukünftig wieder sinken sollte, setzen die Lohnsteigerungen dann beim nächsten KV-Abschluss auf dem niedrigeren Niveau auf. Die Belastungen durch höhere Preise aber werden nicht zurück genommen. Sie könnten nur durch dauerhaft höhere Einkommen halbwegs ausgeglichen werden. Nicht blenden lassen von den scheinbar tollen Einmalzahlungen, und seien sie noch so hoch. Sie sind vergiftet.
Steuer- und abgabenfrei
Steuer- und abgabenfrei heißt das zweite Zauberwort der Vernebelung. Für die Unternehmer fallen dabei weder Lohnsteuer, sogenannte Lohnnebenkosten noch Sozialversicherungsbeiträge an. Auch die Beschäftigten müssen keine zahlen. So kommt aktuell zwar mehr ins Börserl – bei Unternehmern und uns, aber die Beiträge werden uns später bei der Pension, bei eventueller Arbeitslosigkeit fehlen. Einmalzahlungen und abgabenfreie Zahlungen als Ersatz für Kollektiverhöhungen können wir uns nicht leisten!
Flexibler Abschluss – Öffnungsklausel
Der Direktor am Institut für Höhere Studien, Holger Bonin, bringt aus Deutschland die Idee der Öffnungsklauseln mit. Dabei beantragen Unternehmen, die behaupten, dass sie sich eine Lohnerhöhung nicht leisten können „um Beschäftigung zu sichern“, bei den Sozialpartnern, eine Abweichung nach unten. Heißt: Arbeitnehmer:innen aus Betrieben „denen es nicht gut geht“, sollen heuer keine oder eine geringere Lohnerhöhung bekommen. Abgesehen davon, dass es in diesem Jahr für betroffenen Beschäftigte weniger Geld geben soll, bedeutet das auch, dass bei ihnen bei der nächste Erhöhung nur auf dem niedrigeren Tabellen-Niveau aufgesetzt wird. Es ist eine dauerhafte Minderung des Entgelts.
Gleichzeitig ist das die Öffnung für Erpressungen und Konkurrenzen einzelner Belegschaften und ihrer Betriebsräte. Wenn der Unternehmer sagt, wenn ihr euch nicht auf eine geringe Erhöhung einlasst, muss ich Leute entlassen, greift die Angst um den Arbeitsplatz, nicht nur beim Einzelnen, sondern bei der gesamte Belegschaft.
Damit ist kollektiv die Lohnspirale nach unten eröffnet. Denn der nächste Unternehmer der Branche wird seiner Belegschaft sagen, da der Konkurrent nun günstiger ist, müssen „wir“ das auch machen, sonst sind wir im Nachteil. Nur der gemeinsame Kampf der Gewerkschaften schiebt dem einen Riegel vor.
Laufzeiten verlängern
Herr Bonin empfiehlt außerdem, Kollektivverträge nicht über zwölf, sondern über 18 oder 24 Monate abzuschließen. Das würde in Zeiten hoher Inflation die Unsicherheit reduzieren, im Gegenzug wären die Arbeitgeber vielleicht zu höheren Lohnsteigerungen bereit, meint der neue IHS-Chef.
Niemand von uns Beschäftigten hat Einfluss darauf, wie sich die Inflation entwickelt. Wer hätte beim Abschluss 2021 bei einer Inflationsrate von 2,8 Prozent damit gerechnet, dass sie heuer, zwei Jahre später bei sechs Prozent liegt. Wir brauchen einen Abschluss von 11,6 Prozent, vor 24 Monaten wäre das gar nicht denkbar gewesen. Ein damaliger 24 Monate Abschluss hätte zu noch höheren Reallohnverlusten geführt. Nach Wifo-Angaben betrug der in 2022 3,6 Prozent. Spüren wir alle bei Miete, Einkauf und Verkehr.
Rollierende Inflation
Bei KV-Verhandlungen wird traditionell der Durchschnittswert der Inflation der vergangenen zwölf Monate herangezogen. Das sind in den Verhandlungen heuer 9,6 Prozent. Der Betrag ist den Unternehmern zu hoch, also soll er nicht mehr Basis der Verhandlungen dienen.
Wifo-Experte Benjamin Bittschi schlägt vor, die aktuelle Inflation oder jene der letzten drei Monate als Verhandlungsbasis heranzuziehen. Da habe unter anderem den Vorteil die Inflationsspitze abzumildern. Also weniger Geld für die Beschäftigten. Und ein Beginn davon, die rollierende Inflation so festzulegen, wie es den Unternehmern gerade passt.
Bruttowertschöpfung statt Verbraucherpreisindex
Um zu niedrigeren Basisgrundlagen zu kommen, wird der Bruttowertschöpfungs-Index vorgeschlagen. Mit ihm werden die Herstellungspreise berechnet, die niedriger liegen als die Preise für Waren und Dienstleistungen. Es soll also ein niedrigerer Grundwert für die Verhandlungen sein.
Kampfkraft stärken
Es wird gut sein, sich auf die eigenen Kampfkraft zu konzentrieren und sich nicht die Köpfe durch die Spin Doktoren verwirren zu lassen. Senkung der Körperschaftssteuer auf Unternehmensgewinne oder Förderungen für Firmen in Milliardenhöhe waren für die Unternehmensvertreter noch nie ein Thema. Kürzungen und sparen bei uns, dafür halten sie sich ihre „Denkfabriken“.
Anne Rieger ist Mitglied im erweiterten Bundesvorstand des GLB