Ist Energie noch für alle leistbar?
Peter Fleissner über die Preisexplosion bei Gas und Strom
Ein Gespenst geht um in Europa. Nein, nicht der Kommunismus, diesmal die Teuerung. Im Jänner 2022 lag sie bei einem Rekordwert von fünf Prozent. Dies war der höchste Wert seit der Einführung des Euro im Jahr 2002 (nach einem Zwischenhoch 2008 von 4,1 Prozent).
Seither lag die durchschnittliche Inflationsrate eher unterhalb von zwei Prozent. Die Europäische Zentralbank hatte es sich zum Ziel gesetzt, mittelfristig eine Preissteigerung von „nahe, aber unter“ zwei Prozent pro Jahr zu erreichen (neuerdings schärfte man auf genau zwei Prozent nach). Sie hat sich bemüht, die damals zu niedrige Inflationsrate ab 2015 durch Wertpapierkäufe („quantitative easing“, auch Gelddrucken genannt) anzuheben, um die Wirtschaft mit liquiden Mitteln zu versorgen und die Nachfrage anzukurbeln.
Aber diese Maßnahme erhöhte hauptsächlich die Nachfrage nach Wertpapieren, nicht nach Konsum- oder Investitionsgütern, obwohl Ende Juli 2021 die Summe der Ankäufe von Wertpapieren im Rahmen des Asset Purchase Programm (APP) bereits gigantische 3.190 Milliarden Euro betrug, was etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung Deutschlands entspricht.
Um die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen, wurde im März 2020 zusätzlich das Pandemie-Notfallkaufprogramm (PEPP) in einer Gesamthöhe von weiteren 1.850 Milliarden Euro beschlossen. PEPP wird bis mindestens März 2022 laufen. Trotz der enormen Geldschwemme hat sich die Inflation nicht an die Erwartungen der Zentralbank gehalten – bis jetzt. Doch ab nun verdoppelte sich die Preissteigerung.
Preistreiber Energie
Was ist der Hintergrund für dieses ungewöhnliche Wachstum? Die Antwort ist eindeutig. Es sind vor allem die explodierenden Preissteigerungen bei Energie um mehr als ein Viertel (25,9 Prozent im Dezember 2021). Zum Vergleich: alle anderen Bestandteile der Inflation sind „nur“ um 2,8 Prozent teurer geworden. Ist damit bereits der Gipfel erreicht worden oder sind weitere Preissteigerungen zu erwarten?
Hinweise für weitere Höhenflüge findet man in der Statistik der Erzeugerpreise. Im EU-Durchschnitt wuchsen diese im November 2021 um 23,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat, für Österreich wurden 18,9 Prozent ausgewiesen. Verantwortlich sind neben Energie auch Rohstoffe und Logistikkosten, häufig in Verbindung mit Problemen bei den weltweiten Lieferketten. Auch hier macht sich die neoliberale Politik auf den globalen Märkten bemerkbar, die nicht selten durch Spekulation bestimmt wird. Die Unsicherheit um die Ukraine und um Nordstream 2 verstärkt das Problem.
Auswirkung auf Haushalte
Preissteigerungen sind in Österreich bereits sichtbar. So ist laut Arbeiterkammer während des Vorjahres der Stromgroßhandelspreis um 85 Prozent gestiegen, der Gasgroßhandelspreis um 563 (!) Prozent. Nach und nach werden diese hohen Preise an die Konsument*innen weitergegeben.
Wie stark schlagen sich diese Steigerungen in der Preisentwicklung für die Endverbraucher*innen nieder? Hier gibt eine Statistik der Wirtschaftskammer vom letzten November Auskunft. Elektrizität wurde gegenüber dem Vorjahresmonat um 10,2 Prozent, Gas um 20,4 Prozent, feste Brennstoffe um 8,1 Prozent und flüssige gar um 64,5 Prozent teurer. Darüber hinaus kosten Nahrungsmittel und Mieten mehr.
Um den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen in Richtung nachhaltiger Energie zu erreichen, wird Österreich ab Juli eine CO2-Steuer in der Höhe von 30 Euro pro Tonne einführen, die ab 2025 auf 55 Euro anwachsen soll. Diese für den Klimawandel notwendige Maßnahme wird trotz dem nach Regionen gestaffelten Klimabonus der Regierung (100 bis 200 Euro pro Person) vor allem die geringer Verdie- nenden treffen.
Die Energieinflation bringt weitere Nachteile für die Konsument*innen: Auch trotz Preisgarantien werden Kund*innen von den Energieanbietern gekündigt. Günstige Tarifangebote sind weniger geworden. Davon profitieren börsennotierte Energieunternehmen. Die öffentliche Hand erzielt höhere Steuereinnahmen, die zu Preissenkungen für die Kund*innen genutzt werden könnten.
Regulierung der Energiepreise
Tatsächlich hat die Regierung einen Energiekostenausgleich von 150 Euro für „fast alle heimischen Haushalte“ zusätzlich zum Klimabonus beschlossen. Der bereits im Dezember eingeführte Teuerungsausgleich von 150 Euro für Arbeitslose, Sozialhilfe- und Mindestsicherungs- und Ausgleichszulagenbeziehende wurde auf 300 Euro verdoppelt. So sehr diese Maßnahmen zu begrüßen sind, sie kommen zu spät und sind nicht nachhaltig.
Garantien gegen die Abschaltung von Energielieferungen und ein Recht auf Ratenzahlung bei Zahlungsrückstand (wie zu Anfang der Coronakrise bis Juni 2020), auch eine vorübergehende Senkung der Umsatzsteuer und höhere Heizkostenzuschüsse könnten schlechter Verdienende entlasten, aber längerfristig ist eine Regulierung der Energiepreise nötig.
Peter Fleissner ist Ökonom und lebt in Wien