Impulse zur Organisierung
Wie können es Gewerkschaften, Parteien und Aktivist:innen schaffen, Arbeiter:innen in prekären Branchen zu organisieren? Ein Nachtrag und der Versuch einer weiterführenden Diskussion zur Vortragsreihe „Foodora, DPD & Co: Der Preis prekärer Arbeit“.
In Österreich arbeiten ungarische Paketzusteller:innen bis zu 17 Stunden täglich und syrische Essenslieferanten für sechs Euro pro Stunde, indische Reinigungskräfte beklagen sexuelle Übergriffe, während sie ohne Papiere die Wohnungen von Diplomat:innen und Professor:innen putzen. Sie haben keine Lobby, von Gewerkschaften und Parteien werden sie kaum vertreten, oft bleibt ihre verheerende Situation im Verborgenen.
Lösungsansätze gesucht
Die Vortragsreihe „Foodora, DPD & Co: Der Preis prekärer Arbeit“ widmete sich diesen drei Berufsgruppen, deren Arbeitsbedingungen, den Gründen dafür – und suchte in gemeinsamen Diskussionen nach Lösungsansätzen. Letztere sollen hier überblicksartig diskutiert werden, wobei die Ausführungen eher als Anregungen für eine weitere Diskussion, denn als fertige Lösungen gesehen werden sollten.
Außerdem gelten diese Anregungen für viele weitere prekäre Berufsgruppen, beispielsweise die Erntearbeit, die Fleischindustrie, die Pflege oder Sexarbeit.
Eine grundsätzliche Frage in den Diskussionen war, woher der „Impuls“ für eine politische Organisierung der betroffenen Arbeiter:innen kommen soll. Wer täglich zwölf oder mehr Stunden arbeitet, um zu überleben, hat selten die Kraft und die Ressourcen, um sich politisch zu engagieren. Zudem mangelt es oft an Sprach- und Rechtskenntnissen und Kenntnissen über politische Angebote bzw. herrscht gegenüber Gewerkschaften und politischen Institutionen teils große Skepsis.
Impuls von außen
Diese Konstellation führte zur Überlegung, dass der „Impuls“ zur Organisierung „von außen“ kommen sollte, von Gewerkschaften, Parteien, Aktivist:innen oder kritischen Wissenschafter:innen. Hierbei sollte vermieden werden, dass dieses Eingreifen „von außen“ bevormundend oder paternalistisch wirkt und die eigentlichen Interessen der Arbeiter:innen übergangen werden.
Vielmehr sollte versucht werden, vorhandene Potentiale der Arbeiter:innen (das Wissen über Arbeitsabläufe und die Branche, Möglichkeiten zur Organisierung, „wunde Punkte“ in einem Unternehmen etc.) und Ressourcen der Gewerkschaften (Wissen, Infrastruktur, Geld, Netzwerke etc.) zu nutzen, um eine gemeinsame Organisierung zu ermöglichen.
Auf Prekarisierte zugehen
Um eine solche gemeinsame Organisierung anzustoßen, müssen Gewerkschaften aktiv auf Arbeiter:innen in prekären Branchen zugehen, diese über ihre Rechte und politische Angebote informieren.
Diese Arbeit lässt sich nicht vom Schreibtisch aus erledigen, sondern passiert „draußen“, auf den Straßen, Feldern, in den ethnischen Communities usw. Hierfür braucht es Kreativität, Ausdauer und Angebote in den Erstsprachen der Arbeiter:innen.
Die Organisierung prekärer Arbeiter:innen darf keine Frage einiger weniger engagierter Gewerkschafter:innen sein. Ordentliche Kollektivvertragsabschlüsse in der Metalltechnischen Industrie mögen für Arbeiter:innen in der Metalltechnischen Industrie eine tolle Sache sein – aber nur dort. Was es braucht, ist branchenübergreifende Solidarität, gemeinsame Aktionen zwischen (Teil-) Gewerkschaften.
Eine Möglichkeit, um Betroffene von Lohn- und Sozialdumping zu unterstützen, sind rechtliche Verfahren (mit Hilfe der Arbeiterkammer). Hier ist es in der Vergangenheit vielfach gelungen, mehrere Tausend Euro für die Betroffenen zu erstreiten.
Allerdings greifen juristische Instrumente erst dann, wenn es bereits zu spät ist, sie dienen dazu, den Schaden im Nachhinein wieder gut zu machen. Mögen juristische Verfahren den Betroffenen im Einzelfall sehr unterstützen, muss es darum gehen, auf politischer Ebene, also im Vorhinein, zu verhindern, dass solche Ausbeutungsverhältnisse überhaupt erst möglich werden.
Lösungsansätze wären hier u.a. eine Generalunternehmerhaftung, die die Verantwortung für Lohn- und Sozialdumping nicht beim (Sub-)Subunternehmer sucht, sondern den Erstauftragnehmer für sozialrechtliche Vergehen verantwortlich macht. Fest steht: Es gibt viel zu tun!
Johannes Greß ist freier Journalist