Gesundes Gemüse, kranke Arbeit

Josef Stingl über die Situation der Erntehelfer*innen

Vitaminspender gelten als gesund. Weniger gesund sind allerdings die Arbeitsbedingungen bei der Ernte dieser landwirtschaftlichen Produkte. Hitze oder Regen, Rückenschmerzen und unregelmäßige Arbeitszeit sowie schlechte Bezahlung und Unterkünfte prägen die Arbeit der Erntehelfer*innen. 

Der kollektivvertraglich gesicherte Stundenlohn für die Erntehelfer*innen liegt bei rund siebeneinhalb Euro,  brutto wohlgemerkt. Netto sind das 1.100 Euro monatlich, davon werden noch Kost und Unterkunft abgezogen. Für manch Bäuerlein offensichtlich noch immer zu viel. Jährlich begleiten uns Skandal um Skandal, wobei Erntehelfer*innen trotz des mageren Kollektivertrages ungesetzlich beraubt werden.

Ein Beispiel gefällig: 2014 berichteten in Tirol zwei rumänische Erntehelfer, dass sie 20 Stunden gemeldet, aber neben Erntearbeit auch zu Malerarbeiten und in die Gastronomieküche genötigt wurden: Mit Arbeitszeiten von Montag bis Sonntag von 6:00 Uhr bis 2:00 Uhr früh, manchmal sogar noch länger.

Laudamotion als „Sklav*innentransport”

Heuer gestaltete sich die Rekrutierung der Erntehelfer*innen etwas schwieriger. Die Corona-Krise mit Reisebeschränkungen und -verboten sowie Quarantänebestimmungen hinderten den grenzüberschreitenden Billiglöhner*innenfang. Als Alternative gab es einen Aufruf an Studierende, Pensionist*innen, Kurzzeitbeschäftigte und Arbeitslose. Jene die sich vorstellen konnten beim Einbringen der Ernte behilflich zu sein, wurden in einem Pool zusammengefasst. Immerhin 7.000 Frauen und Männer waren dafür bereit als Ersatzkräfte einzuspringen.

Österreichs Gemüsebäuer*innen mieden diese Held*innen der Arbeit. Angeblich, weil sie Expert*innen und nicht unerfahrene Teilzeit-Erntner*innen brauchten. Oder ging´s eher darum, dass diese nicht die üblichen situationselastischen Arbeits- und Lohnbedingungen akzeptierten? Der Branchenverband für Obst und Gemüse und die Landwirtschaftskammer hatten rasch eine Ausweichmöglichkeit zur Hand. 

Trotz öffentlichen Unmuts wurde ein Sondertransport an Billiglöhner* innen direkt aus Cluj-Napoca in Rumänien organisiert. Ähnlich eines römischen Sklavenmarktes warteten die Landwirte mit Bussen vor dem Innsbrucker Flughafengelände, um die Neuankömmlinge übernehmen zu können. Durchgeführt wurde dieser moderne „Sklaventransport” von der Laudamotion. Der Ryanair-Sprössling ist ja ebenfalls bekannt für nicht gerade fetter Gagen. 

der jährliche Skandal… 

… diesmal in Niederösterreich, beim Spargelstechen im Marchfeld. Eine Erntehelferin beklagte, nur vier Euro stündlich für ihre Arbeit bekommen zu haben und ihre Unterkunft war trotz Corona auf engsten Raum mit zehn weiteren Bewohnerinnen belegt: „Für mich war es furchtbar, einfach furchtbar“, meinte sie gegenüber dem ORF. Es habe Schimmel und Kakerlaken gegeben, das Fenster habe sich nicht richtig schließen lassen, auch die Arbeit sei härter gewesen als sonst: „Für mich war das Allerschlimmste, dass wir kaum Pausen hatten. Ich fand, dass wir wie Sklaven behandelt wurden. Das Verhalten der Auftraggeberin war einfach unmenschlich.”

In ihren Arbeitsaufzeichnungen notierte sie mitunter 14-Stundentage. Am Ende sollte ihr weniger Lohn bleiben als ausgemacht war. Für das Quartier seien 150 Euro abgezogen worden – doppelt so viel, wie laut Kollektivvertrag erlaubt ist, außerdem 100 Euro einer nicht näher definierten „Pönale“. 

Statt endlich scharf durchzugreifen verharmlost die Landwirtschaftskammer die schwarzen Schafe ähnlich den Freiheitlichen bei den Rechtsaußen-Auswüchsen als Einzeltäter*innen. So auch diesmal nur ein Einzelfall, der selbstverständlich zu verurteilen sei. Die betroffene Spargelproduzentin beteuert dagegen, sich keiner Schuld bewusst zu sein. Der fehlende Lohn wäre selbstverständlich zu Saisonende bezahlt worden. Das Quartier habe sie persönlich gekannt, aber über die dort herrschenden gesundheitsschädlichen Zustände habe sie nichts gewusst.

keine österreichische Spezialität 

In Süditalien liegt vieles im Argen: 30 bis 35 Euro am Tag bekommen Erntehelfer*innen für ihre zermürbende Arbeit bei der Tomaten-, Melonen- und Orangenernte in sengender Hitze. Sie leben in Hütten und Verschlägen auf den Feldern, weitab von jeder Stadt, ohne Kanalisation, ohne Wasseranschluss, ohne jegliche Infrastruktur. Und wer aufmuckt, der riskiert Strafen. 

Aufgemuckt haben heuer etliche Spargelerntner*innen in Deutschland. Sie streikten gegen ihre Arbeits- und Wohnbedingungen mit an die Kläranlage grenzenden Wohncontainer. Zudem forderten sie so ausstehende Löhne ein. Aufmucken müssen aber auch wir Gewerkschafter*innen. Diese entmenschlichten Arbeitsbedingungen müssen ein Ende finden!

Der Verein www.sezonieri.at, gemeinsam mit der PRO-GE und deren Aufklärungsarbeit vor Ort auf den Feldern ist ein guter Anfang. Gefordert sind aber auch die Konsument* innen, denen menschliche Arbeits- und Lohnbedingungen ein paar Cent mehr für Salat, Karotten, Erdbeeren etc. wert sind.

Josef Stingl ist Bundesvorsitzender des GLB und Mitglied des ÖGB-Bundevorstandes

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