Dreimal Schatten
Sebastian Reinfeld über Tourismus und Arbeitsmarkt in Corona-Zeiten
Seit Wochen mehren sich die Berichte über den sogenannten Schattentourismus in Tirol in Zeiten des Lockdowns. Seit Herbst 2020 verfolge ich das Geschehen in den bekannten Tourismusorten, auch im Salzburger Land. Für die Arbeit berichte ich auch über den Schattenarbeitsmarkt mit Saisonarbeitskräften im Tourismus.
Dieses Treiben wurde sogar dem Bürgermeister von St. Anton, Helmut Mall (ÖVP) zu bunt. In einem Brief an alle Bewohner*innen des Ortes schreibt er: „Liebe Bürgerinnen & Bürger, vermehrt wird gemeldet, dass ausländische Personen im Ort sind, welche Arbeit suchen, der Freizeitgestaltung nachgehen, sich in Gruppen treffen, den Wohnsitz begründen und hier aufhalten (…) Solche Mitteilungen, geschweige denn Fakten und Tatsachen können wir nicht dulden und sind sofort zu unterbinden, wenn sie mit bestehenden Covid-19-Verordnungen und Gesetzen in Widerspruch stehen. Die Gefahr einer pauschalen Verunglimpfung des Ortes, der Vermieter wäre fatal.“
Drei Wege
Wie funktioniert das alles eigentlich? Es gibt drei Wege, trotz gegenteiliger Verordnungen und Gesetze, zum Schifahren zu kommen, wenn ein Mensch nicht in Tirol lebt. Die erste Variante ist es, bei der Einreise nach Tirol an der Grenze (und bei der Registrierung vorab) anzugeben, dass man arbeitssuchend ist. In diesem Fall ist es gestattet, nach Österreich einzureisen.
Dann müssen die angeblich Arbeitssuchenden sich beim lokalen AMS registrieren und können dann ein Zimmer oder eine kleine Wohnung als Zweitwohnsitz mieten. Und schon ist im rechtlichen Graubereich ein Ferienappartement gemietet; dem Schifahren oder Snowboarden steht nichts mehr im Weg. Wichtig ist es, die entsprechenden Papiere bei sich zu führen, sollte man doch einmal von der Polizei oder der Gemeinde kontrolliert werden.
Der zweite und deutlich kostspieligere Weg, den zumeist Auswärtige wählen, ist es, sich als Schilehreranwärter in einem entsprechenden Kurs einzuschreiben. Dieser dauert einige Wochen, je nach Intensität. Schilehreranwärter sind sowas wie die Billiglöhner*innen in diesem Bereich. Laut Kollektivvertrag verdienen sie unter tausend Euro brutto und dürfen, nach absolvierter Ausbildung, nur im absoluten Anfängerbereich arbeiten.
Diejenigen, die an einem solchen Kurs teilnehmen, wohnen in den leerstehenden Mitarbeiter-Häusern, die die großen Beherbergungsbetriebe errichtet haben. Sie bleiben unter sich – beste Voraussetzungen also für das Virus, sich weiter zu verbreiten.
Der dritte Weg steht Einheimischen und Auswärtigen offen. Homeoffice am Berg. Man fingiert eine Geschäftsreise, mietet ein Chalet oder Appartement in bester Lage in Tirol, und ist schon geschäftsreisend. Auf Booking.com funktioniert das so, dass man bei einer Checkbox anklicken muss, geschäftlich unterwegs zu sein. Dann braucht es nur mehr ein Papier (oder auch nicht), um ein paar schöne Tage am Berg oder im Schnee zu verbringen.
Drei Mal Schatten Tourismus also. Neben der Tatsache, dass es halb-legal ist, sehen wir anhand der Infektionszahlen, dass die Verbreitung des Virus nicht unterbunden wird. Das anhaltend hohe Infektionsniveau, auf dem Tirol in den vergangenen Wochen war, führt halt auch dazu, dass Mutationen es viel leichter haben, sich auszubreiten. was in der Folge zu wieder höheren Infektionszahlen führen wird.
Weniger beleuchtet wird aber der Schattenarbeitsmarkt im Tourismus. Der ist in Ischgl offenkundig geworden, während dort im März 2020 das Paznaun abgeriegelt worden ist. Ich habe Berichte von Saisonarbeitskräften aus halb Europa gesammelt, die im Durchschnitt dasselbe ausgesagt haben: Während der Saison arbeiten sie viel, im Service, bei der Seilbahn oder in der Küche. Den meisten macht ihr Job Freude. Ihre Chefinnen und Chefs sind leidlich angenehm. Man braucht halt einander.
Wie Vieh behandelt
Doch sobald klar war, dass die Saison am 14./15 März zu Ende gehen würde, wurden die Saisonarbeitnehmer*innen wie Vieh behandelt. Rausgeekelt, damit sie keine zwei Wochen in Quarantäne durchgefüttert werden müssten; ohne Zugang zu medizinischer Versorgung, obwohl nicht wenige über Beschwerden klagten. „Einvernehmliche Vertragsauflösungen” wurden erzwungen oder erschlichen, nur, damit die Arbeitgeber keine Zahlungen mehr leisten mussten
Das betrifft nicht einige schwarze Schafe. Diejenigen, die sich ordentlich verhalten, sind die Ausnahme. Auch große und renommierte Restaurants sind unter den brutalen Ausbeutern mit dabei. Das können wir Schattenarbeitsmarkt nennen. Es schaut nach normalen Arbeitsverhältnissen aus. Die Arbeitskräfte haben Papiere und Anmeldung. Sie arbeiten sechs Tage die Woche, oft weit mehr als zehn Stunden pro Tag.
Trotz Papieren und Anmeldung sind sie in Wahrheit in einer Branche beschäftigt, in der durch „Hire and Fire“ und Ausnützen der finanziellen Notlage der Betroffenen Arbeitsbedingungen herrschen, die in keinster Weise dem Standard in anderen Branchen entsprechen.
Dass es sich dabei mehrheitlich um Ausländer*innen handelt, macht es denjenigen, die pro Saison Millionen verdienen, leichter, ihre Interessen durchzusetzen. Selbst wenn die Arbeitgeber*innen jemanden aus dem Staff verärgern. So können sie mit Recht darauf setzen: Nächste Saison kommen neue.
Sebastian Reinfeldt ist Journalist und Politikwissenschaftler. Er bloggt auf dem Semiosisblog (www.semiosis.at)