Dogma, Dünkel, Dummheit
Der Eigenheimbau boomt. Obwohl von der Bauwirtschaft und anderen mafiösen Strukturen in Abrede gestellt, wurden in den letzten Jahren so viele Eigenheime gebaut wie nie zuvor.
2022, mitten in der Covid-Pandemie, die sich angeblich so lähmend auf die Bauwirtschaft ausgewirkt haben soll, wurde mit 19.326 Eigenheimneubauten ein neuer Rekord aufgestellt. Derzeit stehen in Österreich mehr als 1,56 Millionen Einfamilienhäuser herum. Dass die Hauseigentumsquote mit über 70 Prozent weit über dem europäischen Durchschnitt liegt, könnte etwas mit der katholischen Kontaminierung des Landes zu tun haben.
In der sogenannten Sozialenzyklika von 1891 wetterte Papst Leo XIII. nicht nur gegen revolutionäre und aufständische Gelüste der Arbeiter:innenbewegung, sondern erhob auch das vererbbare Familieneigentum an Wohnraum zur obersten christlichen Doktrin, wissend, dass Eigentumssinn und das Streben nach Privatbesitz etwaige emanzipatorische Ansinnen schnell den Garaus machen würden.
Doch das Eigenheim und der damit assoziierte Familiensinn ist schon viel früher eines der wichtigsten Werkzeuge gegen kollektivistisches, mithin solidarisches Denken und Handeln erkannt und entsprechend propagiert worden. So zeigt die Soziologin Margareta Steinrücke, wie im frühen 19. Jahrhundert, die so genannten „gefährlichen Klassen“, das heißt die sich formierende Arbeiter:innenklasse immer wieder als „Masse ohne Heim und Herd“ stigmatisiert wurde und die daraus resultierende soziale Desintegration und Bindungslosigkeit sowie deren moralische Instabilität als zentrale gesellschaftspolitisches Problem markiert wurde.
Konservative Lösung
Übersetzt bedeutet dies, dass, wer über kein Hauseigentum verfügt, ist anfälliger für aufständische Anwandlungen. So wurde etwa im Norden Frankreichs in Roubaix oder Lille von Unternehmen Arbeitersiedlungen, die den Arbeiter:innen den Erwerb von Wohneigentum ermöglichen sollte, errichtet. Eine konservative Lösung einer sozialen Frage. Oft wurden Arbeiter:innen von den Unternehmen sogar gezwungen in sogenannte Bausparkassen einzuzahlen um ihrer „moralischen Verpflichtung“ nachzukommen der Familie vererbbares Eigentum zu schaffen.
Nicht von ungefähr haben sich diese Orte von Hochburgen des PCF zu Bastionen der RN gewandelt. Ähnliche Modelle gab es auch hierzulande oft, etwa in Vöcklabruck bei der Firma Hatschek. „Diese Kleineinzelhaus-Siedlungen hatten aber auch immer die Idee, die Arbeiter und die Arbeiterin vom politischen Kampf für ihre Interessen abzuhalten. Sie sollten nicht in die Kneipe gehen, nicht in den Arbeiterverein, wenn sie ein kleines Häuschen haben mit Garten, in dem man es auch gut aushalten kann.“ führt auch die Kulturanthropologin Elisabeth Timm aus.
In seiner Studie „Der Einzige und sein Eigenheim“ analysiert Pierre Bourdieu ebenfalls, wie sehr das Eigenheim dessen Bewohnerinnen der sozialen Beziehungen beraubt, wodurch die frühere Solidarität in den Arbeiterwohnvierteln verlernt werde. Die obligatorischen Kredite würden zur Folge haben, dass die Eigenheimbewohner, aus Angst den Job zu verlieren und somit den Kredit nicht mehr bedienen zu können weniger an Gewerkschaftlichen Aktionen teilnehmen.
Überdies würde das Besitzgefühl eine Domestizierung der Wünsche zur Folge haben. Alles keine guten Voraussetzungen für einen politischen Interessenskampf. Dass aber Wohneigentum am schlechtesten geeignet ist, Wohnbedürfnisse der unteren Klassen zu befriedigen.
Hierzulande ist kaum eine politische Kraft auszunehmen, die sich nicht für noch mehr dieser uniformen Eigenheimschachteln einsetzen würde. Im Jahr 2022 wurden 1,9 Milliarden Euro an Wohnbauförderung vergeben. Diese wird zuallererst als Förderung des Eigenheimbaus verstanden. Nun sind der SPÖ-Gewerkschafter Josef Muchitsch in trauter Einigkeit mit Wirtschaftskammer-Boss Harald Mahrer mit der Forderung aufgefallen, jeden Eigenheimbau mit zusätzlich 100.000 Euro zu subventionieren.
Dass diese Förderungen nichts mit der Schaffung von Wohnraum, sondern allein mit der Erhöhung der Profite der Bauwirtschaft und eine Entlastung jener bringt, die ohnehin schon genug haben, ist evident. Dass die gewünschte Eigenheimbauoffensive enorme ökologische Folgen haben wird, muss einem sozialdemokratischen Betongewerkschafter egal sein. Werden jetzt schon durchschnittlich 11,5 Hektar täglich versiegelt, dürfte die Fläche massiv zunehmen.
Dass eine Tonne verbauter Beton fast eine Tonne Kohlendioxid produziert, kann ein baugewerkschaftliches Spatzenhirn ebenfalls nicht tangieren. Und, dass der Eigenheimfetischismus beigetragen hat, der Interessensvertretung der Arbeiter:innen das Genick zu brechen, ist den sozialpartnerschaftlich verstockten Wirtschaftsgenies ebenfalls blunzn. Sie wollen nur dem Kapital gefallen.
Franz Fend ist Sozialbetreuer und Betriebsrat im Sozialverein B37 in Linz