Dogma der Konsumgesellschaft
Leo Furtlehner über die Vernichtung von Lebensmitteln
700 Millionen Menschen sind weltweit unterernährt, gleichzeitig sind 40 Prozent der Weltbevölkerung übergewichtig. 2019 wurden Lebensmittel im Wert von 408 Mrd. Dollar – über 30 Prozent der Produktion – verschwendet und vernichtet (Presse, 9.6.2021).
Eine Studie der Credit Suisse bestätigt den realen Kapitalismus als Mangel- und gleichzeitig Verschwendungsgesellschaft. Der Rechnungshof kritisiert, dass in Österreich jährlich 0,8 Millionen Tonnen Lebensmittel (Haushalte 0,21, Gastronomie 0,18, Landwirtschaft 0,17, Produktion 0,12, Handel 0,12). Mit dieser Menge – 70.000 randvoll geladene LKWs – könnten Tirol und Vorarlberg ein Jahr lang versorgt werden (OÖN, 22.5.2021).
Vor dem Hintergrund massiver Preissteigerungen auch für Nahrungsmittel und der Klimakrise ist Handlungsbedarf angesagt. Die „Agenda 2030“ der UNO will bis 2030 diese Verschwendung halbieren. Das schwarz-grüne Regierungsprogramm sieht einen Aktionsplan vor. Etwa mit der Unsitte Schluss zu machen, dass im Lebensmittelhandel vollwertige Nahrungsmittel als Abfall entsorgt werden, statt sie sozialen Einrichtungen zu schenken.
Gemessen an der Menge der als Abfall entsorgten Lebensmittel ist nämlich die Weitergabe genusstauglicher Waren marginal. Gibt doch allein Rewe an, jährlich Lebensmittel im Umfang von einem Prozent des Umsatzes (2020: 9 Mrd. Euro), also um 90 Mio. Euro als Abfall zu entsorgen. Gemeinsam mit Spar, Hofer und Lidl schätzt man den Umfang auf 300 Mio. Euro jährlich (OÖN, 22.1.2022).
Die Produktion der Lebensmittel verursacht weltweit 20 Prozent der Treibhausgase und verbraucht 90 Prozent des Trinkwassers. Wenn die Weltbevölkerung bis 2050 auf zehn Milliarden Menschen wächst und sich die Ernährungsgewohnheiten der Entwicklungsländer der Wegwerfgesellschaft annähern, steigen die CO2- Emissionen und würde das Ziel einer Netto-Null-Emission obsolet.
Österreich rangiert zwar unter den TOP10 bei den besten Nachhaltigkeitswerten. Doch Greenpeace-Programmdirektorin Sophie Lampl stellt klar: „Was auf unserem Teller in Österreich landet, zieht eine Spur der Zerstörung durch die ganze Welt.“ Kein Wunder, wenn rund um die Uhr und unabhängig von der Jahreszeit immer frische Ware im Supermarkt- Regal liegen soll und die Handelskonzerne die Produzentenpreise dumpen, bleiben Klima und Umwelt auf der Strecke.
Allein für die nach Österreich importierten Güter Soja, Palmöl, Kaffee, Kakao, Banane und Zucker wird eine Fläche von der Größe des Burgenlandes verbraucht. Die Treibhausgase dafür sind eineinhalbmal so hoch wie jene des österreichische Luftverkehr 2018, was 2,6 Millionen Tonnen entspricht – zugerechnet werden sie den Herkunftsländern.
Zudem rangiert Österreich beim Fleischkonsum mit 78 Kilo pro Kopf und Jahr auf Platz 5 im EU-Ranking (2017). Und was nicht frisch ist, wird weggeworfen. Der propagierte Zwang zur Frische und zum Billigpreis verleitet Konsument*innen das Ablaufdatum als Wegwerfdatum misszuverstehen.
Ausnahmsweise ist Ministerin Köstinger recht zu geben, wenn sie meint: „Wir haben Griller um 800 Euro im Garten stehen und legen eine Bratwurst um 80 Cent drauf. Das ist pervers“ (Presse, 22.5.2021). Verschwendung statt Verwendung ist das Dogma der Konsumgesellschaft. Höchste Zeit damit Schluss zu machen.