Die neue Freiheit?
Anne Rieger über Heimarbeit außerhalb des Büros
Das Beste am Homeoffice für Beschäftigte ist, dass sie nicht mehr stundenlang im Stau oder überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren müssen. Mehr Zeit, über die verfügt werden kann.
Das Zweitbeste ist, dass sie ungestört von Telefonaten, Gesprächen, Besprechungen, Plaudereien sich auf Wesentliches konzentrieren können. Der Ablenkungsfaktor ist geringer – wenn, ja wenn – sie eine entsprechend große Wohnung mit mehreren Räumen und keine Kinder haben.
Wohnräume für den Dienstgeber
Die heutzutage üblichen unzureichenden Arbeitsbedingungen, auf die sich Beschäftigte seit Jahrzehnten eingelassen haben, kompensieren viele nun selbst durch die Bereitstellung eines Arbeitsplatzes für den Dienstgeber in ihren privaten, teuer bezahlten Wohnräumen. Zu geringer – ungestörter – Raum beim Dienstgeber, zu wenig Beschäftigte für zu viel Arbeit, zu weite Wege, weil der Wohnungspreis in Arbeitsplatznähe vom Einkommen nicht abgedeckt werden kann, so ist – oder scheint zumindest – für viele Homeoffice eine Erleichterung. Ein bis zwei Tage Homeoffice werden bei Umfragen häufig positiv bewertet. Aber es gibt viele Beschäftigte, die die ganze Woche Heimarbeit leisten müssen ohne es zu wollen.
Arbeitszeit dehnt sich aus
Das Schlechteste für Beschäftigte ist, dass sich Arbeitszeit und Freizeit, Job und Privatleben, vermischen und sich damit die Arbeitszeit unter der Hand ausdehnt. Die nicht ausgesprochene Arbeitsaufforderung, dieses oder jenes Mail doch noch anzusehen, gar zu beantworten, einen Entwicklungsschritt noch zu dokumentieren, trägt man nun – bewusst oder unbewusst – permanent mit sich herum. Das Maß, was an einem normalen Arbeitstag zu erledigen ist, geht verloren. Fast 40 Prozent der im Homeoffice Tätigen überschreiten in einer durchschnittlichen Arbeitswoche die 40-Stunden-Marke.
Es fehlt auch der Vergleichsmaßstab von Chef*innen und Kolleg*innen – nicht nur für die Quantität der eigenen Arbeit – sondern auch für die Qualität. Soziale Kontakte zu Kolleg*innen, Kund*innen, Chef*innen sind reduziert. Professionelle und private Kommunikation wird zurückgeschraubt, Missverständnisse entstehen häufiger, gemeinsame Freude und Spaß verringert sich. Das kann aus dem sozialen Wesen Mensch einen Einsiedler machen, der kein Maß mehr hat, wieviel und was er tat- sächlich leistet, wieviel seine Arbeit wert ist.
Man vereinzelt, individualisiert, im schlimmeren Fall vereinsamt man, im schlimmsten Fall endet man im Burnout. Klar können Beschäftigte online kommunizieren oder telefonieren, aber damit sind sie einer potenziellen Kontrolle ausgesetzt. Abgesehen davon trifft man auf dem Weg zur eigenen Toilette und Kaffeemaschine eben nicht zufällig mal eben eine Kolleg*in, mit der man kurz plaudern kann, einen Tipp erhält, oder die merkt, dass es einem nicht so gut geht und einen darauf anspricht.
Das Beste für Dienstgeber ist, dass sie Büroplatz sparen, einen billigen zweiten Arbeitsplatz außer Haus bei Teilzeitheimarbeit haben. Der Versicherungsriese Allianz plant, 40 Prozent der Beschäftigten in Heimarbeit zu schicken. Damit könne er 30 Prozent an Bürofläche einsparen und Dienstreisen minimieren.
Die Heimarbeit mindert den kollektiven Austausch der Beschäftigten über (unzumutbare) Arbeitsanforderungen und -bedingungen und eventuelle Gegenwehr. Die gewerkschaftlichen Möglichkeiten werden minimiert und unterhöhlt. Mit der Emigration der Beschäftigten aus dem Haus des Unternehmers scheint seine Kontrollmöglichkeit zu schwinden. Tatsächlich aber ist es üblich, die Beschäftigten so mit Arbeit zuzuschütten, dass sie auch ohne Kontrolle – jedenfalls in der Regel – ununterbrochen arbeiten (müssen). Gleichzeitig erwächst dem Dienstgeber eine Internet-Kontrollmöglichkeit.
Was also ist zu tun?
Viele finden Heimarbeit gut – die Frage ist, ob es wirklich guttut. Das sollte kollektiv in Abteilungen diskutiert werden. Das Gesetz sieht Freiwilligkeit vor. Freiwillige Entscheidungen gibt es aber nur bei Gleichberechtigten, also gleichen Machtverhältnissen. Die sind individuell am Arbeitsplatz nicht gegeben.
Will man als Beschäftigte*r gerne Heimarbeit machen, oder will es gar nicht, dann sind gemeinsame Besprechungen in der Abteilung und Ratsuche bei Betriebsrat, Arbeiterkammer und Gewerkschaft die Mittel der Wahl. Ungleiche Wohn- und Familienverhältnisse können innerhalb der Abteilung zu Problemen bei der Verteilung der Arbeit führen.
Seit 1. April gibt es gesetzliche Regelungen, die die finanziellen, arbeitsrechtlichen und gestalterischen Bedingungen festlegen. Man sollte sie kennen und einfordern.
Die Arbeiterkammer (www.arbeiterkammer.at) gibt Tipps für individuelle und Betriebsvereinbarungen. Auch von der KPÖ- Steiermark (www.kpoe-steiermark.at) gibt es Tipps, damit Homeoffice nicht zur Frustfalle wird.
Anne Rieger ist Mitglied im Landesvorstand und erweiterten Bundesvorstand des GLB