Die Kollektivverträge verteidigen

Anne Rieger über Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich

Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Angriffe auf Kollektivverträge – die Horrormeldungen der letzten Wochen und Monate häufen sich. Wie in jeder kapitalistischen Krise hält auch diesmal das Kapital die Hand auf, um sich Errungenschaften und Erstrittenes aus 150 Jahren Kampf der Arbeiter*innenbewegung wieder zurück geben zu lassen.

Hinter der Nebelwand der Regierungsmaßnahmen anlässlich von Covid-19 gilt einer der Hauptangriffe den Kollektivverträgen. Das Mittel dazu ist die Erpressung von Belegschaften und ihrer Gewerkschaft. Die Luftfahrtbranche ist der Rammbock, hinter dem sich die anderen Kapitalisten einreihen

AUA – Rammbock gegen KV

Die AUA-Belegschaft wird in den kommenden fünf Jahren ausgepresst. Nach Ende der Kurzarbeit werden die Gehälter um bis zu 15 Prozent niedriger sein als im zuvor vereinbarten Kollektivvertrag (KV). Damit schenken die Beschäftigten den Eigentümern insgesamt 300 Mio. Euro. Was wird damit finanziert? Der bereits geplante zukünftige Arbeitsplatzabbau, der jeden von ihnen selbst treffen kann. Ab dem Jahr 2022 habe die AUA aus „jetziger Sicht 1.100 Mitarbeiter zu viel“, tönt Herr von Hoensbroech, CEO der AUA. Und legt voller Hohn nach: „Die AUA war „seit sieben Jahren in der Gewinnzone“.

Allein gelassen von der Branche und von der Bevölkerung, die noch in der Schockstarre der Regierungsmaßnahmen zu Covid19 standen, hatte der überwiegende Teil der Belegschaft in Panik um ihre Arbeitsplätze diesem Erpresserdeal zugestimmt. Die AUA gehört der vollständig privatisierten Deutschen Lufthansa. Größter Einzelaktionär ist seit kurzem der Milliardär Heinz Thiele, laut Forbes einer der zehn reichsten Deutschen. Ihm gehören knapp 16 Prozent der Aktien. Die österreichischen Steuerzahler*innen zahlen zusätzlich oder geben Kredite von 450 Mio. Euro an diesen privaten Konzern.

Laudamotion

Laudamotion ist der zweite Rammbock gegen Kollektivverträge und ebenfalls im ausländischen Besitz, nämlich der Ryanair Holdings PLC (Irland). Flugbegleiter*innen und Gewerkschaft wurden auf eine zehnprozentige Kürzung ihres Kollektivvertrages gepresst, unterstes Einkommen 1.440 Euro monatlich (14-mal). Co-Piloten erhalten 2000 Euro Fixum, ihnen ging es auch um die Fluglizenz, die nach sechs Monaten ohne Flug erlischt.

KV-Abschlüsse unter dem Mikrowarenkorb

Auch die österreichischen Konzerne sind voll dabei. Während bisher die Metaller*innen im Herbst mit ihrer relativen Stärke die KV-Leitlinien für die nachfolgenden Branchen durchsetzten, scheinen nun die Eigner der Elektro-, Elektronik-, Chemie- und Papierindustrie die Vorreiter für Reallohnverluste zu werden. Mit mageren 1,6 Prozent und schäbigen Einmalzahlungen liegen sie unter den 2,1 Prozent des Mikrowarenkorbs. Darin stehen im Mittelpunkt Lebensmittel, Butter, Milch, Fleischprodukte, Obst und Gemüse, also alles, was man unbedingt zum Leben braucht.

„Während der Präsident der Wirtschaftskammer im ganzen Land Konsum und Geld ausgeben propagiert, wollen die Arbeitgeber bei den KV-Verhandlungen den Beschäftigten nicht einmal einen realen Einkommenszuwachs gewähren, obwohl die letzten Jahre die Branche außerordentlich gut verdient hat“, zeigten die PRO-GE-Vertreter bei den Chemie-Verhandlungen auf, auf wessen Kosten im Land für wen der Reichtum gescheffelt wird.

Lockdown als Testhebel

Schon während des von der Regierung verordneten Lockdowns wurden Kollektivverträge – teilweise befristet – unterlaufen. Insbesondere die Arbeitszeit war im Visier: Kraftfahrern wurden die Ruhezeiten gekürzt, Lehrer*innen verzichteten nach medialem Druck der Regierung auf ihnen zustehende freie Tage, per Erlass wurden die Arbeitszeitvorschriften etwa für Personal von Krankenhäusern, Labors, Telefonhotlines gelockert. Festgelegt wurde, dass die Dienstgeber zwei Wochen des aktuellen Urlaubs diktatorisch festlegen dürfen. Wiederholt gab es Versuche, Sonntagsarbeit einzuführen und kürzlich den abenteuerlichen Handstreich, die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach einer Corona-Infizierung im Ausland aufzuheben.

Auch der Einsatz von 250 Soldat* innen des Bundesheeres als Ersatz für Bedienstete der Post im Logistikzentrum Wien-Süd, die Corona-infiziert waren, hinterließ einen schalen Geschmack. Statt Erwerbslosen wenigsten eine kurze Chance der Erwerbsarbeit zu Kollektivvertragslöhnen zu gönnen, wurden Soldat*innen aus ganz Österreich für diese Arbeit eingesetzt.

35-Stunden als Grundlage

Im privaten Sozial- und Gesundheitsbereich (SWÖ) wurde der Kampf um die 35-Stunden-Woche gleich zu Beginn des Lockdowns abgewürgt. Das Ergebnis, erst in zwei Jahren nur eine Stunde Arbeitszeitverkürzung, ist völlig unzureichend. Aber wir sollten den während dieses Kampfes aufgekommenen gesellschaftliche Wunsch nach Arbeitszeitverkürzung positiv aufnehmen.

Er kann eine stabile Grundlage für den Widerstand gegen die aktuellen Zumutungen des Kapitals und für weitere Verteidigungskämpfe werden. Freilich muss voller Lohn- und Personalausgleich gefordert werden, sonst ist es Teilzeit und die Erwerbslosen gingen leer aus.

Anne Rieger ist Mitglied im Landesvorstand und erweiterten Bundesvorstand des GLB

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