Der ÖGB im neuen Biedermeier
Karin Antlanger über Teilzeit für alle statt Arbeitszeitverkürzung
In Krisenzeiten scheint ÖGB und AK nichts Besseres einzufallen, als Frauen wieder einmal mit Scheinmanövern abzufertigen und sie auf die Restplatzbörse am Arbeitsmarkt zu verweisen.
Bereits im Zuge des neoliberalen Umbaus unserer Gesellschaft und erst recht im Verlauf der Weltwirtschaftskrise wurde Teilzeitarbeit als die Möglichkeit für die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie propagiert.
Eine sehr durchsichtige Umschreibung der Verdrängung von Frauen aus dem Vollerwerbsleben. Ganz abgesehen vom Effekt, dass dadurch Einsparungen bei den öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen möglich wurden bzw. der Ausbau derselben verhindert werden konnte und eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung nicht mehr für notwendig erachtet wurde.
Teilzeitarbeit wurde und wird nach wie vor als das Mittel zur Herstellung einer Work-Life-Balance gepriesen. Dass die Balance aber spätestens mit dem Erhalt des Pensionsbescheids kippt, scheinen viele zu verdrängen, solange sie noch im Erwerbsleben stehen und der oder die Partner*in ganz gut verdient.
Frauen, nehmt euch in Acht
Ausgerechnet zum Equal-Pension- Day gingen AK und ÖGB mit der Forderung in die Offensive, die sogar bei Bürgerlichen für Kopfschütteln sorgte: Eltern, die beide Teilzeit arbeiten, sollen einen Bonus von monatlich 250 Euro bekommen, wenn sie ihre Arbeitszeit auf 28 bis 32 Stunden pro Woche reduzieren. Das ganze bis zum vierten Geburtstag des Kindes. Dadurch solle Familienarbeit besser aufgeteilt werden. Auch Alleinerziehende sollten diesen Bonus bekommen – wer dann allerdings die zweite Hälfte der Familienarbeit übernehmen soll, wird nicht gesagt. Da drängt sich schon mal die Frage auf, ob ÖGB und AK unser im internationalen Vergleich noch immer sehr gutes Pensionssystem zerschlagen wollen!
Denn dieses Familien-Teilzeitarbeit-Modell kürzt nicht nur die Pensionen aller Betroffenen, sondern gefährdet auch das gesamte Pensionsversicherungssystem, da bei Teilzeitarbeit auch weniger Versicherungsbeiträge eingezahlt werden. Detto weniger Arbeitslosenversicherung und weniger Krankenversicherungsbeiträge.
Um das zu behirnen, muss frau nicht einmal Volkswirtschaft studiert haben. Entweder ist das ÖGB- und AK-Funktionär*innen nicht bewusst oder sie nehmen es in Kauf und hoffen, dass die Menschen das nicht so schnell bemerken. Oder setzen sie auf private Pensionsvorsorge? Das wäre mindestens ebenso fahrlässig wie unverantwortlich. Es stellt sich immer mehr die Frage, wessen Interessen die führenden Funktionär*innen wirklich im Fokus haben.
Halbe-halbe ist kein Ersatz
Der Anteil der Männer, die in Karenz gehen, ist nach wie vor gering. Wen wundert’s? Sind doch die finanziellen Einbußen für Männer meist so viel höher als für die im Schnitt viel geringer entlohnten Frauen. Da würde auch ein Familienbonus von 250 Euro nicht viel dran ändern. Tatsächlich ändern würde sich aber, dass Frauen dadurch kaum mehr Pension bekämen, dafür aber die Männer weniger.
Ist das die Gleichheit, auf die AK und ÖGB hinarbeiten? Nicht gleicher Lohn für gleiche Arbeit und damit Anhebung der Fraueneinkommen, sondern gleich wenig für alle, auch für Männer, also eine Nivellierung nach unten. Und das Thema Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn für alle Beschäftigten würden sie damit auch unter den (Verhandlungs-)Tisch fallen lassen.
Schamesröte der Sozialdemokratie
Der ÖGB bekennt sich auf diversen Papieren zur Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn. In der Praxis geht er aber davon aus, dass die Menschen durch Teilzeitarbeit freiwillig eine kürzere Arbeitszeit mit Lohnkürzung hinnehmen? Verkauft wird dies dann als Work-Life-Balance. Nur weil die Gewerkschaften seit 45 Jahren keine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung erreichen, haben sie sich von dieser mehr als überfälligen Maßnahme in der Praxis endgültig verabschiedet.
Die Erben-Generation trägt dies ja zu einem Teil mit: Muss sie doch oft keine Mieten zahlen, da sie schon in jungen Jahren das Haus der Großmutter oder die Wohnung des Großonkels übereignet bekommen. Für die darauffolgende Generation wird es das aber nicht mehr so spielen bzw. zählen nicht alle Menschen zu den Immobilienerben.
So lange es keine flächendeckende, qualitativ hochwertige Kinderbetreuung auch für unter Dreijährige gibt und solange den Frauen immer noch ein schlechtes Gewissen eingeredet wird, wenn sie Vollzeit berufstätig sind, wird es keine Chancengleichheit und existenzsichernde Alterspensionen für alle Frauen geben. Und die Forderung nach einer 30-Stundenwoche wird den Gewerkschafter*innen weiterhin wie ein pornographischer Witz die Schamesröte ins Gesicht treiben.
Karin Antlanger ist Sozialpädagogin und war Betriebsrätin bei EXIT-sozial Linz