Der freie Markt versagt
Auch wenn die Inflation von einem Höchstwert mit 11,2 Prozent im Jänner 2023 auf zuletzt 3,5 Prozent im April 2024 abgesunken ist – Österreich ist damit weiterhin Spitzenreiter in der Eurozone mit 2,4 Prozent.
Während andere EU-Länder nicht vor staatlichen Eingriffen in die Preisgestaltung und Abschöpfung von Extraprofiten aus der Teuerung zurück- schreckten, begnügten sich Nehammer & Kogler damit, zur Beschwichtigung Milliarden Steuergelder auszuschütten, was freilich weder die Teuerung stoppen konnte, geschweige denn nachhaltig ist.
„Trotz hoher Lohnsteigerungen und üppiger Staatshilfen hat uns die hierzulande viel zu hohe Inflation beträchtlich ärmer gemacht“ konstatierte sogar Josef Urschitz (Presse, 5.4.2024). Laut Fiskalrat betrug nämlich der Kaufkraftverlust von Beschäftigten und Pensionist:innen von Anfang Februar 2022 bis Jahrsende 2023 satte 10,5 Milliarden Euro – die staatlichen Teuerungshilfen schon abgezogen.
Von nachhinken keine Rede
Urschitz beklagt, dass „Löhne und Pensionen der Teuerung immer um ein Jahr nachhinken“ – von „üppigen Lohn- und Pensionserhöhungen“ kann freilich keine Rede sein, mussten doch die Lohnabhängigen die Teuerung vorfinanzieren. Laut Fiskalrat wird der Kaufkraftverlust bis Ende 2025 weitere 7,8 Milliarden betragen, während die Teuerungshilfen auslaufen.
Dazu kommt eine Entwertung der Sparvermögen durch zu niedrige Zinsen in diesem Zeitraum von 50 Milliarden Euro. Der Extraprofit der Banken übertrifft damit den Extraprofit von Industrie und Handel, wie die Bilanzen für das Geschäftsjahr 2023 verdeutlichen. Laut Nationalbank haben sich die Gewinne der Banken von 2020 bis 2023 von 3,7 auf 14,1 Milliarden Euro vervierfacht.
Schmerzliche Erkenntnis
Für einen in der Wolle neoliberal gefärbten Lohnschreiber des Kapitals wie Urschitz muss es weh tun, das völlige Versagen des ständig gepriesenen „freien Marktes“ und der Inflationsbekämpfung der Regierung eingestehen zu müssen. Noch schmerzlicher ist es, wenn Urschitz eingesteht, dass „sinnvolle Markteingriffe“ wie in anderen Ländern – etwa durch „zeitlich begrenzte Interventionen“ am Strom- und Gasmarkt praktikabel gewesen wären. Stattdessen wurden hierzulande „mit aller Gewalt die inflationsdämmenden Maßnahmen der EZB“ durch „hohe, schuldenfinanzierte Milliardenbeträge“ bekämpft – das „exakte Gegenteil von Inflationsbekämpfung“ als volkswirtschaftliches Basiswissen und eine „Kombination des Schlechtesten aus allen Welten“ – also ein „Megaflop“.
Ähnlich wie Urschitz beklagt NEOS- Mitbegründer Veit Dengler „Die Party auf Staatskosten ist vorbei!“ die durch derartige Inflationsbekämpfung weiter anwachsende Staatsverschuldung (Standard, 5.4.2024). Sanieren wollen die Herren das Budget freilich auf Kosten der kleinen Leute, nämlich durch kräftige Einschnitte bei Pensionen, durch Privatisierungen – und nicht etwa durch Besteuerung des Reichtums. Vermögens- und Erbschaftssteuern sind für sie Teufelszeug und leistungsfeindlich – ganz so als ob das Erben von Millionen oder gar Milliarden eine Leistung wäre.
„Vermögenssteuer als Investitionskiller“ meldet alarmistisch dazu Eco Austria (Standard, 10.4.2024) und behauptet, dass eine Vermögenssteuer von einem Prozent ab einer Million Euro Vermögen zwar fünf Milliarden jährlich bringen, aber einen ebenso hohen Verlust für das Bruttoinlandsprodukt zur Folge hätte. Ignoriert wird dabei allerdings, dass der Staat diese Milliarden verstärkt in die Infrastruktur investieren könnte.
Dengler beklagt, dass Österreich mit 43,2 Prozent des BIP die viert- höchste Steuer- und Abgabenquote der EU aufweist, die Schweiz hingegen nur 28,7 Prozent – vornehm unter den Tisch fallen lässt er freilich, dass private Gesundheits- und Pensionsvorsorge hier nicht eingerechnet wird, sonst sähe das gleich ganz anders aus. Die Staatsverschuldung mit 370 Milliarden Euro oder 78 Prozent des BIP müsse „für sich genommen nicht unbedingt schlecht“ sein, zumal Staaten laut der Modern Monetary Theory (MMT) nicht wie Haushalte zu betrachten seien und auch nicht in Insolvenz gehen könnten.
Was ist produktiv?
Vorausgesetzt, die Staatsschulden würden für „produktive Investitionen“ verwendet. Womit etwa Bildung und Infrastruktur gemeint seien – aber auch „Sicherheit“, sprich Militär und Polizei. Hingegen seien Staatsausgaben für Pensionen und Beihilfen lediglich „Konsum“ und würden keinen Wohlstand schaffen. Österreich als „eines der reichsten und zufriedensten Länder der Welt“ würde laut Dengler „die berühmte Milchmädchenrechnung“ anwenden.
Fakt ist: Der Markt hat versagt, Staatseingriffe – etwa durch klare Preisregelungen für Energie oder Mieten – sind notwendig, die Abgeltung der Teuerung durch entsprechende Lohnerhöhungen unerlässlich. Denn Teuerung ist allemal eine Umverteilung von unten (der Kaufkraft der „kleinen Leute“) nach oben (zu den Profiten der Banken und Konzerne).
Leo Furtlehner ist verantwortlicher Redakteur der „Arbeit“