Den Fakten verpflichtet, den Opfern zugewandt
Vor 60 Jahren wurde das DÖW von ehemaligen Widerstandskämpfer:innen und Verfolgten des NS-Regimes sowie engagierten Wissenschafter:innen gegründet.
1983 wurde die Stiftung DÖW errichtet, die seither von der Republik Österreich und der Stadt Wien zu gleichen Teilen grundfinanziert wird. Ende 2023 haben die Stadt Wien und das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung beschlossen, die jährlichen Zuwendungen aufzustocken, sodass die wesentlichen Tätigkeiten des DÖW nicht nur weiterhin gesichert sind, sondern weiter aufgebaut werden können: Archiv-, Bibliotheks- und Museumsbetrieb, Forschungs- und Vermittlungsaufgaben.
Festakt und Symposium zum Jubiläum
Das DÖW beging sein Jubiläum Mitte Januar 2024 in einem Festakt im Wiener Rathaus mit Festreden von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bürgermeister Michael Ludwig, Wissenschaftsminister Martin Polaschek und Universitätsprofessorin Margit Reiter.
In einem anschließenden Symposium im Stadtkino des Wiener Künstlerhauses widmete sich das DÖW einem seiner Kernthemen: den vielen Facetten des Widerstandes gegen Faschismus und Nationalsozialismus. Unter dem Titel „Widerstände. Impulse für die Widerstandsforschung“ diskutierten internationale Expert:innen über individuelle Entscheidungen zum Widerstand, den parteipolitisch organisierten Kampf und den Eigensinn, über Deserteure und queere Formen der Gegner:innenschaft, über den Widerstand in den Lagern, Ghettos und im Exil, über Handlungsmacht und Handlungsspielräume, über die Quellen und die Aufgaben der Vermittlung. Im Zentrum stand die Debatte um den Widerstandsbegriff, welche Motive, Handlungen, Personen er umfassen kann und wo er seine Grenzen findet.
Fokus auf Vergessene und Verdrängte
Die inhaltliche Tätigkeit des DÖW umfasste von Beginn an einen breiten Widerstandsbegriff und die Berück- sichtigung aller Opfergruppen – immer auch im Bewusstsein von Überchneidungen, Graubereichen und der oft schwierigen nachträglichen Einordnung und stets im ehrenden Andenken an die Widerständigen und die Verfolgten.
Der wissenschaftliche Leiter des DÖW Andreas Kranebitter richtet seinen eigenen Forschungsschwerpunkt auf die noch immer marginalisierten und tabuisierten Opfergruppen der als „Asoziale“ oder „Kriminelle“ Verfolgten. Dies steht in der Tradition des DÖW alle Opfergruppen zu berücksichtigen: Die Juden und Jüdinnen, die Rom:nja und Sint:izze, die Widerstandskämpfer:innen, die Opfer der NS-Medizinverbrechen, die nach Österreich und aus Österreich Verschleppten – alle, die dem Unterdrückungs- und Vernichtungsterror der Nationalsozialisten ausgeliefert waren, mit welchem (tödlichen) Etikett auch immer sie versehen worden waren.
Vermittlung für Demokratie und Menschenrechte
Aktuell arbeitet das DÖW im Auftrag der Wiener Arbeiterkammer an einer wissenschaftlichen Studie zu antigewerkschaftlichen Diskursen. Das Projekt geht u. a. der Frage nach, welche öffentlichkeitswirksamen Diskurse ein solidarisches Klima unter Arbeitnehmer:innen verhindern. Im Fokus stehen zudem Angriffe auf Gewerkschaften, deren Protagonist:innen und Strategien.
Die Erforschung des Rechtsextremismus im DÖW, die stets auch im Dienst seiner Bekämpfung stand, reicht bis in die 1970er-Jahre zurück. Damals begannen Überlebende der NS-Verfolgungen und ehemalige Widerstandskämpfer:innen, rechtsextreme und neonazistische Publikationen zu sammeln.
Als erstes großes Ergebnis wurde 1979 der Sammelband Rechtsextremismus in Österreich nach 1945 veröffentlicht. 1993 folgte das Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus von Brigitte Bailer, Wolfgang Neugebauer und anderen Expert:innen wie Willibald I. Holzer oder Anton Pelinka.
Die Sammlung zu diesem Thema wächst bis heute und steht einer interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung. Das DÖW fühlt sich auch und gerade in diesem Bereich dem Erbe des Widerstandes im Sinne eines „Niemals wieder“ verpflichtet. Dies gilt auch für die Bildungs- und Präventionsarbeit, die Mitarbeiter:innen im DÖW, in Schulen und der Erwachsenenbildung leisten. Thematische Schwerpunkte sind hierbei Rechtsextremismusprävention, Verschwörungserzählungen, Antisemitismus und grundsätzlich gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.
Zukunft
In den 2020er-Jahren, 60 Jahre nach seiner Gründung, sieht sich das DÖW neuen und doch altbekannten Herausforderungen gegenüber. Der dringend notwendigen Vergrößerung und Modernisierung der Archivräumlichkeiten und Ausstellungen soll durch den Umzug in den grausam geschichtsträchtigen Pavillon 15 auf dem Otto-Wagner-Areal Rechnung getragen werden. In Zeiten sich rasant verbreitender Fake News und Diskursradikalisierungen und -verweigerungen steht das DÖW unbeirrt auf Seiten der sachlichen Dokumentation, wissenschaftlichen Analyse und offenen Diskussion.
Christine Schindler ist Projektmanagerin und Redakteurin des DÖW