COVID-19: Die Krise unnd der Handel
Interview mit Gerhard Wimmer über die Situation im Handel
Am Höhepunkt von Covid-19 hatten über 800.000 Beschäftigte ihren Job verloren und 1,6 Millionen befanden sich in Kurzarbeit. Der Handel ist dabei eine der am stärksten betroffenen Branchen. Weniger Löhne und Gehälter in den Haushalten bedeuten einen deutlichen Einbruch beim Konsum und einen dramatischen Umsatzrückgang im Handel.
Über die aktuelle Situation im Handel und die Situation der Beschäftigten sprach „Die Arbeit“ mit Gerhard Wimmer, Betriebsratsvorsitzender bei EZA Fairer Handel, ein Großund Einzelhandelsbetrieb in Salzburg mit etwa 70 Beschäftigten.
Wie ist die Situation generell im Handel?
Ein Großteil der Handelsbeschäftigten zählte schon vor der Krise zu den Niedrigverdienern und war als Teilzeit, Arbeit auf Abruf etc. prekär beschäftigt. Durch Covid-19 wurde die Situation verschärft. In mehr als der Hälfte der Handelsbetriebe gibt es noch immer Kurzarbeit, insgesamt 315.000 Handelsangestellte sind per Ende Juni in Kurzarbeit. Besonders betroffen sind der Mode- und Schuhhandel sowie der Automarkt, andere Sparten wie Baumärkte oder der Möbelhandel haben mittlerweile jedoch wieder Umsatzzuwächse.
Bei einem kollektivvertraglichen Mindestgehalt im Handel von 1.675 Euro brutto bedeutet auch ein Einkommensverlust von „nur“ zehn oder 15 Prozent, dass Geld für Miete, Schule oder Essen einfach nicht mehr reicht. Etwa 70.000 ehemals im Handel Beschäftigte sind derzeit überhaupt arbeitslos. Niedriges Einkommen bedeutet auch entsprechend niedriges Arbeitslosengeld und diese Zahl wird weiter steigen, wenn das Kurzarbeitsmodell ausläuft. Viele dieser Kolleg*innen wissen mittlerweile nicht mehr, wie sie ihre laufenden Kosten finanzieren sollen. Diese Krise jetzt betrifft also vor allem jene am härtesten, die schon vor der Krise wenig Einkommen hatten.
Wie hast du die Zeit des Lockdowns erlebt?
In den ersten Tagen gab es täglich neue Entscheidungen zu treffen. Unsere drei Einzelhandelsgeschäfte in Wien und Salzburg wurden für sechs Wochen völlig geschlossen. Im Großhandel in der Zentrale in Salzburg sanken die Umsätze in den ersten Wochen auch, was aber durch verstärkte Online-Umsätze teilweise aufgefangen werden konnte. Für zwei Monate waren auch bei uns viele Kolleg*innen auf Kurzarbeit, so konnten Kündigungen vermieden werden.
Trotzdem kam es zu großen Belastungen: Kurzarbeit führte zu Einkommensverlusten, alte Urlaube und Zeitguthaben wurden abgebaut. Um im Falle einer Infektion eine Totalschließung zu vermeiden, wurden Arbeitsteams gebildet, die getrennt eingesetzt wurden. Dadurch stieg aber in der Zeit des Arbeitseinsatzes der Arbeitsdruck extrem an. 50 Prozent des Personals musste 75 Prozent der Normalarbeit bewältigen.
Andere Kolleg*innen mussten im Homeoffice arbeiten, was nicht immer einfach war: Kein geeigneter Arbeitsplatz, gleichzeitig die Kinder zuhause, erschwerte Kommunikation und Absprache mit den anderen Kolleg*innen. Seit Anfang Mai haben auch unsere drei Einzelhandelsgeschäfte wieder geöffnet und die Kolleg*innen hier leisten noch mehr als sonst. Die Belastung sowohl psychisch wie auch physisch ist enorm.
Wie ist die Situation jetzt?
Mittlerweile haben sich die Umsätze wieder fast auf ein „Normalniveau“ eingependelt. Daher wurde mit Ende Mai die Kurzarbeit wieder beendet. Der Alltag unterscheidet sich aber doch wesentlich zu früher. Die Ängste um Jobverlust sind noch immer da. Wird sich das Konsumverhalten generell ändern? Was passiert, wenn die Arbeitslosenzahl hoch bleibt und das Geld für Konsum fehlt? Auch die Angst vor einer zweiten Ansteckungswelle. Ständig gibt es die Aufforderung zum Abstand halten, wie dies im Arbeitsalltag eingehalten werden kann, ist eine andere Frage.
Noch ist schwer einschätzbar, welche Langzeitfolgen der Lockdown haben wird. Lieferketten sind noch immer unterbrochen. Unsere Partner in Afrika, Asien und Lateinamerika sind von der Pandemie wesentlich schwerer getroffen als Europa. In manchen Ländern gibt es monatelange Ausgangssperren ohne soziales Auffangnetz. Verschiebungen der Verkäufe vom Einzel- zum Onlinehandel sind auf Dauer zu befürchten. Homeoffice hat seine Vorteile auch für den Arbeitgeber, der damit weitere Kosten spart.
Welche Erfahrung hast du mit der Gewerkschaft in dieser Zeit gemacht?
In unserem Betrieb sind über 90 Prozent gewerkschaftlich organisiert. Dies ist natürlich gerade in so einer schwierigen Situation ein großer Vorteil. Wir bekamen von der zuständigen Fachgewerkschaft GPA-djp sämtliche notwendigen Hilfestellungen und Beratungen. Was ich allerdings schon als sehr problematisch sehe, ist die Lobhudelei der Gewerkschaft über die Sozialpartnerschaft.
Die machen sich doch nur was vor, wenn sie meinen, die Wirtschaft hätte diese Maßnahmen wie neues Kurzarbeitsmodell aus Rücksicht auf die Beschäftigten mitgetragen. Da stecken doch in Wirklichkeit konkrete Interessen der Betriebe dahinter. Und wir müssen aufpassen, wer dies alles bezahlen wird. Da erwarte ich mir von der Gewerkschaft in Zukunft auch eine klare und laute Stimme. Und sehr schnell wird es dann wieder vorbei sein mit gemeinsamen sozialpartnerschaftlichen Interessen und Zielen.
Gerhard Wimmer ist Betriebsratsvorsitzender bei EZA Fairer Handel in Köstendorf (Salzburg)