Billiger Applaus, Kohle für Konzerne
Brigitte Promberger über Prekariat und Krise
Ein Drittel der Beschäftigten in Österreich – 1,4 Millionen Menschen – arbeitet prekär und atypisch. Davon betroffen sind sowohl unselbständig Erwerbstätige als auch (Schein-) Selbständige – von Hilfsarbeiter*innen bis Akademiker*innen.
Ihnen allen gemeinsam sind schlechte soziale Absicherung, unsicheres geringes Einkommen und Fehlen einer starken Interessenvertretung.
Wer ist prekär?
Unter prekären Arbeitsverhältnissen versteht man:
Viele Unternehmen, etwa der Handel, bieten nur mehr Teilzeitstellen an.
Die schlimmste Form ist die geringfügige Beschäftigung, bei der die Betriebe weder Kranken- noch Arbeitslosen- und Pensionsversicherungsbeiträge leisten.
Bei Leiharbeit besteht immer Ungewissheit, wohin man für wie lange verleast wird. Die Löhne liegen vielfach unter dem Niveau der Stammbelegschaften, Leasing-Personal wird als erstes abgebaut, dann droht Arbeitslosigkeit.
Der Niedriglohnsektor – Working Poor – bedeutet Armut trotz Arbeit.
Saisonarbeit in der Landwirtschaft, Textil- und Fleischindustrie, Lieferservices „bieten“ Arbeitsplätze, die selbst von konservativen Medien als moderne Sklaverei bezeichnet werden.
Stark zugenommen haben Paketzustelldienste, die Amazon & Konsorten die rasche Auslieferung ihrer Online-Verkäufe ermöglichen. Auf Kosten und Risiko der Auslieferer, die als Ein-Personen-Unternehmen (EPU) aufscheinen, jedoch unter Druck stehen, mindestens 150 Pakete pro Tag schaffen zu müssen.
Ein Missverhältnis von fehlender Selbstbestimmtheit und hohem Risiko liegt auch bei der Heimpflege vor.
EPU mit nicht ganz so drastischen Arbeitsbedingungen sind im Gesundheitswesen, im psychosozialen Bereich, in Kunst und Kultur zu finden. Von der Buchhaltung über die Grafik bis zur Technik – viele Bereiche wurden ausgelagert.
Dass gute Ausbildung Garant für gute Jobs ist, trifft im akademischen Bereich immer weniger zu. Die Generation Praktikum erwartet oft über Jahre nichts anderes als schlecht bis unbezahlte Praktika, um in der angestrebten Branche Fuß fassen zu können.
Im universitären und wissenschaftlichen Bereich sind befristete Dienstverhältnisse, meist projektbezogen, für viele die Regel. Oftmals ist für die Projekte die Finanzierung oder Teilfinanzierung selbst aufzutreiben.
Auch innerhalb der Gruppe der prekär Arbeitenden zeigt sich: Die Einkommen von Frauen und Migrant*innen liegen bis zu 40 Prozent unter dem der Männer.
Schneller Wandel
Der schnelle Wandel der Arbeitswelt (Digitalisierung, Globalisierung) hat neue Arbeitsformen entstehen lassen. Einige wie etwa Leiharbeit wurden – in guter Absicht, um Arbeitsplätze zu sichern und Engpässe aufzufangen – von den Gewerkschaften mitbeschlossen. Doch liegt hier ein entscheidender Fehler im sozialpartnerschaftlichen Kalkül sozialdemokra tischer Gewerkschafter*innen.
Neoliberale Wirtschaft will keine Partner: Sie will „Flexibilisierung“: längere Arbeitszeiten, schnell und jederzeit einsetz- und austauschbare Arbeitskräfte, Verringerung der Lohnkosten, Schwächung der Interessenvertretungen.
Neue Arbeitsformen setzen die klassische Arbeit unter Druck. Vereinzelung und Herausfallen aus betrieblichen Strukturen verunmöglicht Absprache und Solidarität. Der Lockdown aufgrund der Corona-Krise hat das drastisch gezeigt. Von heute auf morgen standen ein großer Teil der prekär und atypisch Arbeitenden vor dem Nichts.
Weichen gestellt
Die Weichen dafür wurden von „unseren“ neoliberalen Regierungen schon vor Jahren gestellt: Sozialleistungen, die sich nicht am Bedarf, sondern am vorangegangenen Einkommen orientieren (Arbeitslosengeld, Pension), Reduzierung des Arbeitslosengeldes auf 55 Prozent, Verschlechterung der bedarfsorientierten Mindestsicherung zur „Sozialhilfe Neu“. Wer bereits vom Arbeitseinkommen nur knapp überleben kann, hat mit den Sozialleistungen nur Armut zu erwarten. Nicht viel besser die Situation der Scheinselbständigen.
Die Abwicklung der Hilfsgelder über die Wirtschaftskammer (WKO) – das nächste Desaster: Während in den Finanzämtern unfreiwillig Däumchen gedreht und Urlaubssperren für den Sommer (um die Missbräuche der von der WKO genehmigten Hilfsgelder zu prüfen) verhängt wurden, bediente diese ihr Klientel von Kammerfunktionären, Parteispendern und Lobbys. Hohe bürokratische Hürden für ein paar Almosen.
Klassenkampf verschärft
Die Krise macht sichtbar: Der Klassenkampf von oben nach unten hat sich verschärft. Regierung und Wirtschaft nehmen in Kauf, dass ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung in existenzbedrohende Situationen und Armut gerät, während Milliarden an Konzerne verteilt wurden. Sichtbar wurde auch: Applaus für jene, die mit geringem Einkommen das System am Laufen hielten – Prämien für Aufsichtsräte und Vorstände, die keiner wirklich vermisst.
Um einem weiteren Auseinanderklaffen entgegenzuwirken, sind die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich, gesetzlicher Mindestlohn von zumindest 13 Euro pro Stunde sowie die Besteuerung von Vermögen unumgänglich.
Brigitte Promberger ist Betriebsrätin im Literaturhaus und GLB-Arbeiterkammerrätin in Salzburg