Besser als nichts, sagen sie
Ein Report über rumänische Forstarbeiter in Österreich von Christian Bunke, Johannes Greß, Naz Küçüktekin, Christof Mackinger.
Als Oleg Baciu in Rumänien in den Bus Richtung Salzburg stieg, wusste er noch nicht was ihn dort erwartet. Wie viele seiner Landsleute erhoffte er sich ein besseres Leben und bekam 4,50 Euro die Stunde.
Weil sich Oleg Baciu beschwerte, verbrachte er die darauffolgenden Nächte im Wald. Der aus Rumänien stammende Baciu, der seinen echten Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte, beschwerte sich über die 950 Euro, die er und seine Kollegen für einen Monat Schwerstarbeit bei einem Salzburger Forstunternehmen verdienten. Daraufhin verlor der damals 31-Jährige nicht nur seinen Job, sondern auch seine Unterkunft.
Wie Hunderte anderer seiner Landsleute kam Baciu zur Forstarbeit aus Rumänien nach Österreich. Wie viele Rumänen genau in österreichischen Wäldern arbeiten, kann niemand sagen. Schon hier zeigt sich ein grundsätzliches Problem: Die Branche ist undurchsichtig, verschwiegen, wenige wissen etwas über die Verhältnisse, die Arbeitsbedingungen dort – oder wollen etwas wissen.
Wie Recherchen von „Die Arbeit“ zeigen, würde sich ein genauerer Blick lohnen: Zwischen 2018 und 2021 verstarben in Österreichs Wäldern 13 rumänische Forstarbeiter, 441 wurden verletzt. Rumänen machen somit knapp ein Fünftel der Betroffenen aller forstwirtschaftlichen Arbeitsunfälle in Österreich aus. Im Vergleich zur Grundgesamtheit von 2.261 Unfällen im selben Zeitraum sei das „auffällig viel“, heißt es vom Arbeitsinspektorat. Seit Monaten kontrolliere man die Branche deswegen schwerpunktmäßig.
Diplomatische Verstimmungen
Bis Ende März 2022 sind laut Arbeitsinspektorat „328 Kontrollen in Betrieben von gewerblichen Forstunternehmern und auf auswärtigen Arbeitsstellen (Holzschlag)“ durchgeführt worden. Bei etwa 50 Prozent dieser Kontrollen seien Mängel festgestellt worden. Genauere Angaben könne man jedoch erst nach Beendigung der Kontrollen bekannt geben.
Derlei Missstände blieben auch in Rumänien nicht unbemerkt. In einem Schreiben des rumänischen Außenministeriums, das „Die Arbeit“ vorliegt, drückt dieses ihre Besorgnis über „die Situation im Forstbereich“ in Österreich aus, der sie seit 2019 „dauernd“ Ausdruck verliehen habe. Von der Republik Österreich werde die Botschaft nur unzureichend mit Informationen versorgt. „Ein solches Problem haben wir in keinem anderen europäischen Land“, kritisiert das rumänische Außenministerium.
Einen Grund für die hohe Anzahl (tödlicher) Unfälle zu bestimmen, ist schwierig. Forstarbeiter, -unternehmer und Expert*innen, mit denen „Die Arbeit“ gesprochen hat, nennen eine Vielzahl an Ursachen. Zunächst ist die Arbeit im Forst an sich extrem gefährlich. Bei vielen Unfällen kann weder Eigen- noch Fremdverschulden festgestellt werden. In anderen Fällen wurden Sicherheitsvorschriften missachtet oder Personal nicht oder nur unzureichend eingeschult. Teilweise wurden Teams von vier auf drei Arbeiter verkleinert – was Personalkosten spart, aber ein Risiko darstellt, weil damit eine Aufsichtsperson fehlt.
Oleg Baciu kann von Glück reden, zwar habe es auch in seinem Unternehmen regelmäßig Unfälle gegeben, er selbst aber blieb unversehrt. Baciu kommt aus dem Bezirk Bistrita-Nasaud, dem waldreichen Nordosten Rumäniens. Seine Heimat ist eine der ärmsten Regionen des Landes, die Löhne niedrig, die Arbeitslosigkeit horrend hoch. Viele suchen ihr Glück daher im Ausland. Jede*r kennt hier irgendjemanden, eine Freundin, einen Verwandten, die oder der in Österreich, Deutschland, Italien, Spanien oder Großbritannien arbeitet. In der Pflege, am Feld, am Bau oder eben im Forst. Es sind jene unsichtbaren Branchen, die meist nur dann sichtbar werden, wenn sie es durch irgendeinen „Skandal“ in die Medien schaffen.
Doch für viele Rumän*innen, insbesondere aus der Region Bistrita-Nasaud, sind derlei Jobs dennoch ein Hoffnungsschimmer. Der Grund dafür lässt sich anhand einer Eurostat-Statistik zusammenfassen: Der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst in Österreich liegt bei 3.066 Euro, damit mehr als drei Mal so hoch als in Rumänien (951 Euro).
Reise ins Ungewisse
Als Baciu in Bistrita-Nasaud in den kleinen Bus nach Salzburg steigt, wusste er nicht, was ihn dort erwartet. Nur, dass einige seiner Kumpels schon jahrelang bei der Salzburger Forstfirma arbeiteten. Neben Unterkunft und Essen könne er bis zu 1.800 Euro monatlich verdienen, für 8 bis 9 Stunden Arbeit pro Tag. In der Unterkunft angekommen, funktionierten weder Gas noch Strom. Es gab weder Warmwasser noch etwas zu Essen. Am nächsten Tag sei der Chef „mit einem Stapel Papiere“ gekommen, auf Deutsch formuliert. Niemand hätte gewusst, was sie da unterschreiben, sagt Baciu.
Gearbeitet hatten Baciu und seine Kollegen laut Aufzeichnungen, die „Die Arbeit“ vorliegen, Montag bis Samstag, je zehn Stunden, teilweise auch sonntags. Statt den in Aussicht gestellten 1.800 erhielt er im ersten Monat 950 Euro – 4,50 Euro pro Stunde. Doch Baciu unterscheidet sich in einem Punkt von vielen anderen Rumänen in der Branche: Er kennt seine Rechte. Viele andere, mit denen „Die Arbeit“ gesprochen hat, tun dies nicht.
Ehemalige und aktive Forstarbeiter anderer Firmen wissen ähnliches zu berichten: Verträge, die sie unterschreiben mussten, ohne den Inhalt zu kennen; leere Gehaltsversprechen; nicht ausbezahlte Überstunden; kein 13. und kein 14. Gehalt; keine Lohnfortzahlung im Urlaub oder im Krankheitsfall; E-Cards, die vom Arbeitgeber einbehalten und nur widerwillig herausgegeben werden. Für Gewerkschaften sind migrantische Forstarbeiter ein denkbar schwieriges Klientel, denn sie sind oft nur wenige Monate im Land, sprechen die Sprache meist nicht und arbeiten ‚irgendwo‘, in dunklen Wäldern, in schwer zugänglichen, steilen Hängen.
Die Gründe für die desaströse Situation rumänischer Forstarbeiter in Österreich sind komplex. Einerseits mangelt es den Arbeitern an Sprachkenntnissen und einer Lobby. Zudem ist es die ökonomisch prekäre Situation in ihrem Heimatland, das Lohngefälle zwischen Rumänien und Österreich, das sie in die Hände ausbeuterischer Unternehmen treibt, die hierzulande enorme Profite schreiben.
„…dann schleicht‘s euch“
Andererseits wäre es zu einfach, den Grund für die Missstände allein in der ‚Profitgier‘ einiger Unternehmer*innen zu suchen. Denn seit Jahren steigt der Druck in der Branche. Mit dem Anstieg der Durchschnittstemperatur häufen sich Extremwetterereignisse wie Stürme oder Dürren. Bäume werden anfälliger für Schädlingsbefall, allen voran durch den Borkenkäfer. So kommt es zu immer mehr Schadholz, das oft im Eiltempo aus dem Wald muss und hohe Kosten verursacht, ohne dass es am Markt nachgefragt wird. Außerdem setzen Ausschreibungsverfahren für öffentliche Aufträge, die nach dem Billigstbieterprinzip funktionieren, vor allem kleinere Firmen stark unter Druck. Der so entstehende Preisdruck wird „nach unten“, an Arbeiter wie Baciu, weitergegeben.
„Wenn ihr bei mir nicht arbeiten wollt, dann schleicht‘s euch“, habe sein Chef gesagt, als Baciu den ihm versprochenen Lohn einforderte. Sein Chef weigerte sich, Baciu blieb standhaft, und wurde gekündigt. Da er samt Job auch die Unterkunft verlor, hierzulande niemanden kennt und kein Deutsch spricht, übernachtete er mehrere Tage im Wald. Über viele Umwege konnte er sich mit Sezonieri, einer Kampagne für migrantische Erntearbeiter*innen in Österreich, in Verbindung setzen. Über die Arbeiterkammer konnte er gut 1.000 Euro erstreiten. Der Rest seiner Kumpel arbeitet nach wie vor bei dem Unter- nehmen. Besser als nichts, sagen sie.
Die Recherche wurde gefördert und unterstützt von Netzwerk Recherche, Stiftung MUNDA und Gewerkschaftlicher Linksblock.