Ausstand trotz Corona

Oliver Rast über Arbeitskämpfe in Deutschland

Das Signal war klar: Streik, unbefristet. Der Bundesvorstand der IG Metall in Frankfurt am Main hatte Mitte April beschlossen, dass nach der Urabstimmung die Belegschaft die Arbeit beim Maschinenbauer Voith Turbo in Sonthofen im Allgäu niedergelegt werden sollte.

Bei der Urabstimmung eine Woche zuvor hatten 98 Prozent der IG-Metall-Mitglieder des Unternehmens für den Arbeitsausstand votiert. Die Wahlbeteiligung lag dem Pressesprecher von der IG Metall Bayern, Timo Günther, zufolge bei 100 Prozent. Ein Votum, das Corona-bedingt unter besonderen Vorzeichen stand. Erstmals führte die IG Metall eine Urabstim mung per Briefwahl durch.

Das Unternehmen kritisierte den Streikbeschluss in einer Stellungnahme. „Eine Eskalation in Form eines Streiks ist aus Sicht des Unternehmens wegen der hiermit verbundenen Schäden gerade für den Standort Sonthofen und seine Mitarbeiter das falsche Mittel.“ Diese Aussage entbehre nicht einer gewissen Komik, sagte Günther: „Schließlich wollte ja der Konzern hier ein Produktionsende.“

Zentrales Ziel der Metaller war der Erhalt des Werks. Nicht irgendeines Werkes. Der Standort existiert seit 500 Jahren, war ursprünglich ein Erzwerk, erzählte Günther. Deshalb sprechen die Beschäftigten und Einheimischen auch von „unserem Hüttenwerk“. „Die Identifikation mit dem Standort“, so Günther, „ist extrem hoch.“ Kein Wunder: Voith ist in Sonthofen und Umgebung mit rund 500 Arbeitsplätzen der größte „Arbeitgeber“ in der Region.

Die Vorgeschichte des Konflikts: Die Konzernleitung hatte im Oktober 2019 ihre Schließungspläne für Sonthofen bekanntgegeben. Tenor: Das Werk produziere nicht wirtschaftlich, die Fertigung werde an andere Standorte verlagert. Das sei ein Totschlagargument, so Günther: „Das übliche, was einer Unternehmensführung dann einfällt.“ Die IG Metall hielt dagegen. Demnach erreichte der Sonthofener Standort 2019 seine Umsatzziele und schrieb schwarze Zahlen. Und dennoch wollte die Konzernspitze die Fertigungsanlage dichtmachen.

Wie lief der Streik ab? „Corona-konform“, sagte Günther. Das heißt? „Es gab keine großen Streikversammlungen, keine Demonstrationen vor dem Werksgelände.“ Streikposten indes schon, „damit niemand raus noch rein kam“, so Günther. Die Kommunikation lief über virtuelle Kanäle – oder klassisch über Telefonketten.

Die Metaller waren aber in einem Dilemma: Für einen Werkserhalt kann man in Deutschland offiziell nicht streiken, „nur für den Abschluss eines Sozialtarifvertrags“, sagte Dietmar Jansen, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Allgäu und Streikleiter. Jansen stieß vor allem eines sauer auf: „Alle reden vom Facharbeitermangel.“ Der Großteil seiner Kollegen sei hochspezialisiert. Voith stellt unter anderem Getriebe für Gaswerke her.

Unterdessen wurde der Konzern aktiv, versuchte den Arbeitskampf zu unterminieren. Eine Streikbrecherprämie von einem halben Monatslohn habe der Konzern ausgelobt, machte Jansen öffentlich. „Das war der Versuch, einen Keil zwischen uns zu treiben.“ Der scheiterte letztlich, die Kollegenschaft hielt – bis auf Einzelfälle – zusammen.

Kleine Triumphe konnte die Gegenseite dennoch vermelden. So wurde es per einstweiliger Verfügung den Streikposten gerichtlich untersagt, das Haupttor des Werkes zu blockieren. Blockaden mit Pkw der Beschäftigten, um Speditionen am Abtransport von Getriebeteilen zu hindern, waren nicht mehr möglich. „Das minderte unseren Kampfgeist keinesfalls“, betonte Jansen. Die Produktion im Werk stand nach wie vor komplett still.

Unterstützung erhielt die Belegschaft aus der regionalen und Landespolitik, aber auch aus dem deutschen Bundestag. Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin von Die Linke, Sabine Zimmermann, kommentierte: „Völlig zu Recht stellen sich die Beschäftigten dem Schließungsplan entgegen.“

Die Unternehmensleitung zeigte sich weiterhin entschlossen, den Standort bis Jahresende zu schließen und die Produktion in das Werk nach Crailsheim im Nordosten Baden-Württembergs zu verlagern. Unter dem Strich setzte sie sich nach dreieinhalb Wochen Streik Ende Mai durch – ein Sozialtarifvertrag musste also her. Die Kernpunkte: 350 Stellen werden gestrichen, 170 Beschäftigte erhalten vor Ort eine dreijährige Beschäftigungssicherung, tarifgebunden. Für die, die ihren Job verlieren werden, konnte die IG Metall relativ hohe Abfindungen erzielen, ohne konkret zu werden. Etwa 80 Prozent der IG Metaller stimmten ab, davon 87,1 Prozent für den Sozialtarifvertrag – und damit für das Streikende.

Kritik kam aus Teilen der Belegschaft und von solidarischen Aktivisten vor den Werkstoren. Demnach hätte ein fortgesetzter Streik zu einem besseren Ergebnis geführt. Auch die Informationspolitik der Tage vor dem Vertragsabschluss wurde kritisiert. Die zwischenzeitliche Funkstille rund um den Streik erklärte Günther damit, dass die Verhandlungsführer die Gesprächsrunde „nicht belasten“ wollten. Das sei üblich, insbesondere dann, wenn die Kontrahenten in eine entscheidende Phase eintreten.

Fazit: Die Allgäuer Metaller kämpften, verloren nicht, jedenfalls nicht auf ganzer Linie. Sie dokumentierten vor allem, dass Streiks auch während der Pandemie möglich sind.

Oliver Rast ist Journalist der Tageszeitung „Junge Welt“, Info www.jungewelt.de

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