Auf halbem Weg stecken geblieben
Ekkehard Madlung-Kratzer zu Primärversorgungseinheiten
Österreich hat ein gut entwickeltes Gesundheitssystem, bei dem sich zunehmend Probleme auftun. Verlängerte Wartezeiten auf OP-Termine, frühzeitige Entlassungen aus dem Krankenhaus (aufgrund gesperrter Betten und Stationen wegen Personalmangels), nicht besetzte Kassenarztstellen, überfordertes Gesundheitspersonal sind Symptome dafür.
Gleichzeitig entwickelt sich ein privater Gesundheitsmarkt (private Krankenanstalten, Privat- und Wahlarztpraxen), der zum einen die Gesundheit als lukratives Geschäft entdeckt hat, zum anderen aber auch der Versuch ist, der Unzufriedenheit (mit den Arbeitsbedingungen wie auch mit den medizinischen Leistungen) zu entkommen. Die krisenhafte Entwicklung hat ihre Wurzeln in einer neoliberalen Gesundheits- und Sozialpolitik und war seit vielen Jahren absehbar.
Für Patient*innen bedeutet das, Einschränkungen bei der Qualität der Versorgung, für das medizinische Personal noch mehr Belastung (bis zur Überlastung). Politik und Sozialversicherungen sind im Zugzwang dieser Entwicklung etwas entgegenzuhalten bzw. den Schaden zu begrenzen. Zur Verbesserung der Versorgung im niedergelassenen Bereich gibt es nun seit einigen Jahren das Bestreben, für die Primärversorgung (als Ergänzung zu den Hausarztkassenpraxen), soge- nannte Primärversorgungseinheiten (PVE) zu schaffen.
PVE bündelt Kompetenzen
In diesen Einheiten sollen neben mindestens drei Allgemeinmediziner*innen und diplomiertem Pflegepersonal eventuell auch Kinderärzt*innen und andere Gesundheits- und Sozialberufe, (wie Physiotherapeut*innen, Psycholog*innen/ Psychotherapeut*innen, Sozialarbeit, Ergotherapie u.a.) zur Verfügung stehen. Diese multiprofessionellen Teams bündeln so die Kompetenzen an einem Ort und können ein breites Spektrum an Leistungen anbieten.
Die Vorteile liegen auf der Hand. Für Patient*innen ist die PVE eine zentrale erste Anlaufstelle im Gesundheitssystem, die eine wohnortnahe, umfassende und koordinierte allgemeinmedizinische Versorgung anbietet, die zusätzliche Wege erspart. Es kann erweiterte Öffnungszeiten (inklusive Tagesrandzeiten) bieten und auch einen niederschwelligen Zugang zu erweiterten Angeboten der Gesundheitsförderung, Prävention und psychosozialen Unterstützung. Die Beschäftigten profitieren durch die Zusammenarbeit und den Austausch im Team. Sie können sich gegenseitig vertreten, das erleichtert eine flexible Arbeitszeitgestaltung, Arbeitsteilung und eine individuelle Work-Life-Balance.
Die Idee ist nicht neu, sie erinnert (wenn auch in abgespeckter Form) an bekannte Konzepte der Ambulatorien und Polikliniken, private Institute, staatliche (NHS in England) aber auch durch Gewerkschaften initiierte bzw. durch die Sozialversicherungen selbstverwaltete und geführte Einrichtungen. Allerdings standen diese als Gegenstrategie zu einer von ärztlichem Standesdünkel und einer privat- wirtschaftlich geprägten Gesundheits- politik.
Logik der Rentabilität
In diesen Ambulatorien sind Ärzt*innen angestellt und werden von den Krankenkassen oder Kommunen finanziert. Für die jetzt angedachten Primärversorgungseinheiten trifft das nicht zu. Zwar gibt es finanzielle Unterstützungen durch die ÖGK, die wesentliche Finanzierung erfolgt aber (wie in jeder Kassenpraxis auch) über Fallpauschalen (pro Patient*in) sowie über die Abrechnung von Einzelleistungen (Untersuchungen, Therapien u.a.).
Somit müssen auch die PVE nach der Logik der Rentabilität handeln, die jedoch nicht immer mit der Gesundheit und den notwendigen Gesundheitsmaßnahmen einhergeht. Ärzt*innen arbeiten in der PVE als selbstständige Unternehmer*innen, weitere Mitarbeiter*innen stehen in einem Angestelltenverhältnis zu ihnen. Die PVE ist ein auf Gewinn orientiertes Unternehmen und muss nach betriebswirtschaftlichen Zwängen geführt werden.
Nur langsam voran
Möglicherweise ein Grund, warum die Schaffung von PVE nur sehr langsam vorangeht. Geplant waren bis 2021 zehn Prozent der Bevölkerung mit 75 PVE zu versorgen, aktuell sind es laut ÖGK aber nur 40. Dabei würde das Konzept den Bedürfnissen der Generation Z durchaus entgegenkommen, vielmehr aber noch, wenn die PVE Einrichtungen der Krankenkassen oder der Kommunen wären, in der alle Mitarbeiter*innen in einem adäquat bezahltem Angestelltenverhältnis ihre Arbeit frei von ökonomischen Zwängen gestalten können. Das würde Freiräume für mehr Zeit in der Behandlung schaffen und hätte Auswirkungen auf die Qualität der medizinischen Versorgung.
Mit dem aktuellen Konzept der PVE wird die Chance auf eine grundsätzliche Alternative zum bestehenden System des ärztlichen Unternehmertums vertan. Dabei gibt es Ansätze zur Überwindung dieses Dogmas. Die ÖGK hat ein Pilotprojekt beschlossen, das Ärztinnen und Ärzte in länger nicht nachbesetzten Arztpraxen als Angestellte finanziert. Dies sollte auch für die PVE Anwendung finden. Zufriedene Patient*innen würden es danken.
Ekkehard Madlung-Kratzer war Oberarzt am Landeskrankenhaus Hall in Tirol