Auf die Finger schauen
Anne Rieger über Minister Kochers Bilanz
Seit einem Jahr ist Martin Kocher Bundesminister für Arbeit, Familie und Jugend. Von Türkis-Kanzler Sebastian Kurz wurde er für die ÖVP vom Institut für Höhere Studien in die Regierung geholt: „Selten wurde ein Minister mit derart viel Wohlwollen und Antrittsapplaus begrüßt wie Kocher“, schrieb Profil quasi als Begrüßung.
Bei der Angelobung hat er den Auftrag vom Bundespräsidenten bekommen, seine Politik auch danach auszurichten, dass es zu keinen sozialen Verwerfungen kommt. Wie sieht seine Bilanz nach einem Jahr aus?
Bagatellstrafen bei Lohndumping
Im Juli 2021 schaffte der Minister das Kumulationsprinzip ab. Das Prinzip besagte, dass jedes Vergehen wegen zu niedriger Entlohnung oder Meldepflichten durch den Unternehmer einzeln bestraft wurde, sodass sich die Strafe mit der Zahl der Geschädigten multiplizierte.
Jetzt gilt, wer z. B. hundert Mitarbeiter*innen zu wenig zahlt, bekommt keine weit höhere Strafe als ein Kleinbetrieb, der zwei Mitarbeiter*innen zu wenig bezahlt. Damit stehen die Strafen nicht mehr im Verhältnis zum Profit, der durch das Lohndumping erzielt wird. Profitieren werden vor allem Unternehmen, die ihren Mitarbeiter*innen zu wenig bezahlen. Schon die schwarz-blaue Regierung wollte das Kumulationsprinzip bei Verwaltungsdelikten abschaffen.
Mehr billige Arbeitskräfte
Am 1. Januar wurde die Mangelberufliste ausgeweitet. Bundesweit wurden 66 Berufe, statt bisher 45, zu Mangelberufen erklärt und 52 weitere für einzelne Bundesländer. Mangelberufe sind jene Berufe, in denen weniger als 1,5 Arbeitssuchende pro offener Stelle zur Verfügung stehen. Statt Investitionen in Fachkräfte, in Arbeitslose, in ihre Qualifizierung und für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen, weitet Kocher die „Mangelberufe“-Liste aus.
Das erleichtert den Unternehmen das Rekrutieren von billigeren Arbeitskräften aus Nicht-EU-Ländern. Unternehmen können einfacher für offene Stellen Arbeitskräfte aus „Drittstaaten“ anwerben. Die Folge: Mehr Konkurrenz am Arbeitsmarkt und damit mehr Lohndruck auf die Fach- kräfte und höhere Profite für die Unternehmen.
Insolvenzschutz gefährden
Mitten in der Krise will Kocher die Insolvenzentgeltfonds-Zahlungen (IEF) der Unternehmen halbieren. Diese zahlen 0,2 Prozent der sozialversicherungsrechtlichen Beitragsgrundlage in den Fonds ein. Die Beiträge im IEF sichern die Einkommen von Beschäftigten, wenn der Betrieb in Konkurs geht. In der derzeitigen unsicheren Pandemielage kann niemand voraussagen, wie viele Unternehmer*innen nicht in der Lage sein werden, ihren Betrieb im kapitalistischen Konkurrenz-Wettbewerb profitabel durch die Krise zu führen.
Das Auslaufen der Kreditstundungen steht ins Haus. Leidtragende sind dann die Beschäftigten. In der Finanzkrise 2009 waren 28.100 Dienstnehmer*innen von Insolvenzen betroffen. Die Corona-Pandemie trifft die österreichische Unternehmen weitaus stärker als damals die Finanzkrise, so der ÖGB. Wenn dies auch auf die Insolvenzen zutrifft, ist es umso wichtiger, einen gut dotieren Insolvenzentgeltfonds zu haben. „Dass der Minister mitten in der Krise bei der Insolvenz-Absicherung die Gelegenheit für ein 125 Millionen Euro-Geschenk an Unternehmer sieht, ist fatal”, kritisiert die Leitende ÖGB-Sekretärin Ingrid Reischl.
Vermögenssteuer, nein danke!
Die Mehrheit der Bevölkerung in Österreich ist für Vermögenssteuern. Kürzlich haben sogar Millionär*innen höhere Steuern gefordert. Arbeitsminister Kocher aber: „So eine Steuer gibt einen großen Anreiz, den Wohnsitz zu verlagern“. Außerdem, so seine Meinung: „Es gibt Vermögenssteuern in Österreich“. Offensichtlich zählt er die schmale 0,2 Prozent Steuer auf Grundbesitz als Vermögenssteuer. Selbst in Deutschland, Polen oder der Schweiz liegt sie höher, in Frankreich beträgt sie 4,4 Prozent.
Arbeitslosengeld
Details zum geplanten Modell verriet Kocher nicht (Kurier, 3.1.2022). Derzeit werde ein Gesamtpaket erarbeitet. Dabei gehe es nicht nur um die Höhe der Bezüge, sondern auch um Förderungen. Kocher erklärte, er „gehe davon aus“, dass ein großer Teil der Menschen nach der Reform „besser dasteht“.
Dass manche Menschen auch schlechter dran sein werden, könne er aber nicht ausschließen. Das Arbeitslosengeld werde jedenfalls „nicht weit unter“ 55 Prozent fallen. Fazit also: Arbeitslosengeld unter 55 Prozent, dabei werden Menschen schlechter dran sein!
EU-Mindestlöhne
24 Millionen Arbeitnehmer*innen würden von EU-Mindestlohns profitieren. Das derzeitige Gefälle zwischen den 21 Mindestlöhnen von Luxemburg 2.140 und Bulgarien 310 Euro bekommen Beschäftigte in Österreich zu spüren: Die Unternehmer*innen verlegen Produktionen in Niedrig- Lohnländer, wo die Menschen brutaler ausgebeutet werden. Der Minister stimmte nicht für EU-Mindestlöhne.
Anne Rieger ist Mitglied im Landesvorstand und erweiterten Bundesvorstand des GLB