Arbeit unsichtbar, Zeit fragmentiert
Frau M. ist Reinigungskraft und arbeitet in geteilten Diensten mit einer Frühschicht von 6:00 bis 10:00 Uhr und einer Spätschicht von 15:00 bis 19:00 Uhr in verschiedenen Objekten. Da sie jeweils eine Stunde zu und von der Arbeit fährt, ist sie für acht Stunden Arbeit zwölf Stunden am Tag unterwegs.
Die Unterbrechung zwischen den zwei Diensten erlebt sie als hektische Zeit, in der sie versucht, so schnell wie möglich Hausarbeit zu verrichten, das Abendessen für ihre Kinder zuzubereiten und dabei darauf zu achten, den Bus nicht zu verpassen. Das Schlimmste ist für Frau M., dass sie ihre drei Kinder unter der Woche kaum sehen kann.
Der Arbeitsalltag von Frau M. ist ein drastisches Beispiel, aber nicht unüblich für Beschäftigte in der Reinigungsbranche, insbesondere in der Büroreinigung. Viele Reinigungskräfte arbeiten an den Tagesrändern – also am frühen Morgen und am späten Nachmittag bzw. Abend – und haben geteilte Dienste. Das Forschungsprojekt SPLITWORK an der Wirtschaftsuniversität Wien widmet sich den Folgen dieser Arbeitszeitform und den Beschäftigungsbedingungen in der Reinigungsbranche – einer Branche, in der hohe Anteile an Frauen und an Personen mit Migrationsgeschichte tätig sind.
Unsichtbar gemacht
Hintergrund dafür, dass sich diese Arbeitszeiten in der Reinigungsbranche durchgesetzt haben, ist der Wunsch vieler Kund*innen, dass die Reinigungsarbeit „unsichtbar“ erledigt werden soll. Die Arbeit soll getan sein, bevor die Beschäftigten des Kundenunternehmens arbeiten bzw. nachdem sie gegangen sind.
Das hat zahlreiche Folgen: Die Arbeitnehmenden, aber auch der Arbeitsvorgang bleiben unsichtbar – diese Unsichtbarkeit schadet der gesellschaftlichen Anerkennung der Arbeit. Reinigungspersonal arbeitet zudem oft allein und isoliert und mit wenig sozialem Austausch. Hinzu kommen die vervielfachten Wegzeiten und die insgesamt sehr langen Arbeitstage.
Systemrelevant, oft nicht existenzsichernd
Reinigungsarbeit ist das, was in den letzten Jahren häufig als „systemrelevante Arbeit“ bezeichnet wurde – sie wird gesellschaftlich jedoch häufig übersehen. Auswertungen zu den Beschäftigungsbedingungen in systemrelevanten Berufen während der Coronapandemie haben für Österreich gezeigt, dass die Reinigungsbranche in vielen Aspekten besonders schlecht abschneidet: So weist die Arbeit in der Reinigungsbranche nach einer Studie des Instituts SORA besonders hohe körperliche Anforderungen auf, es gibt verhältnismäßig viel unfreiwillige Teilzeitarbeit und Beschäftigte kommen schlecht mit ihrem Einkommen aus.
Morgens früh aufstehen, abends spät heimkommen, zweimal am Tag für die Arbeit fertigmachen, viermal am Tag den Arbeitsweg fahren: So sieht der Alltag für viele Beschäftigte mit geteilten Diensten aus. Obwohl Arbeitnehmende das Gefühl haben, den ganzen Tag im Einsatz zu sein, kommen sie mit diesen geteilten Diensten von oft nur wenigen Stunden pro Schicht häufig nicht einmal auf eine Vollzeitstelle. Damit ist es in dieser Niedriglohnbranche auch schwierig für sie, ein existenzsicherndes Einkommen und später eine ausreichende Alterspension zu erlangen.
Tagreinigung ist umsetzbar
Dass es auch anders geht, zeigt Vergleichsforschung in Norwegen im Rahmen des Projekts SPLITWORK: In Norwegen kam es in den letzten Jahrzehnten zu einem weitreichenden Übergang von einstmals verbreiteten geteilten Diensten an den Tagesrändern hin zu einem hohen Anteil an Arbeitszeiten zu den gewöhnlichen Büro- und Geschäftszeiten. Wie konnte dieser Übergang zu Tagreinigung gelingen? Am wichtigsten dabei war eine enge Zusammenarbeit der Sozialpartnerschaft – und zwar unter Einbeziehung der Kund*innen.
Dass der öffentliche Sektor mit gutem Beispiel voranging, trug ebenfalls zur Veränderung bei. Mit der Zeit kam es in Norwegen zu einem langsamen, aber tiefgreifenden Kulturwandel. Es wurde nach und nach zum Normalfall, dass Reinigungskräfte und die Mitarbeiter*innen des Kund*innen-Unternehmens zur gleichen Zeit arbeiten. Dadurch sind Reinigungskräfte und ihre Tätigkeit gesellschaft- lich sichtbarer geworden.
Relevanz für die Praxis
Das Forschungsprojekt SPLITWORK verbindet die wissenschaftlichen Erkenntnisse mit Praxisrelevanz: So wurde 2021 anlässlich des Tages der Reinigung am 15. Juni gemeinsam mit dem Zentral-Arbeitsinspektorat eine Vernetzungsveranstaltung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen organisiert.
Vor kurzem wurde zusammen mit der Bundesinnung der chemischen Gewerbe und der Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereiniger in der WKÖ eine Broschüre zum Thema Tagreinigung erstellt. Zudem gibt es laufenden Austausch mit der Arbeiterkammer und der Gewerkschaft vida, um die Arbeitsbedingungen in der Branche basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen zu verbessern.
Karin Sardadvar ist Soziologin und Arbeitsforscherin
Foto: BMAW/Fröwis