Angst vor der Natur?
Vorweg: Es geht um nicht weniger als um Artenschutz und Natur als unsere Existenzgrundlage, um gesunden Boden zur Sicherung unserer Ernährung und um unser Wasser, und das alles in der Perspektive des Klimawandels, der viele Herausforderungen bringen wird.
Österreich hat mit Ministerin Gewessler im Juni beim Rat der EU-Umweltminister:innen beim Beschluss zu dem seit zwei Jahren diskutierten Renaturierungsgesetz, den Ausschlag gegeben. Hut ab, allerdings: Jede andere Entscheidung – und es ging um die Natur von ganz Europa – wäre gegen alle Verpflichtungen einer Umweltministerin und eine ewige Blamage für die Grünen – und sicher auch desaströs für ihre Wiederwahl gewesen.
Dieses Gesetz war schon sehr abgeschwächt und verwässert worden, sodass selbst VP-Karas nach ursprünglicher Ablehnung dann für ein Ja war. Trotzdem haben reaktionäre Kräfte in Österreich um VP, FP und Großbauern eine Propagandakampagne mit Angstmärchen und Fake News dagegen inszeniert. Es ginge um „Enteignungen“ oder um „Schmetterling zählen“– es gibt übrigens eh kaum mehr welche.
In kindischer Art versuchte Kanzler Nehammer vor der Abstimmung mit einem Brief an die EU sogar seine eigene Ministerin für inkompetent zu erklären. Es ist gut, dass diese Kräfte mit ihren Mätzchen bisher nicht durchkamen. Die VP spielt mit diesem Theater auch hier der FPÖ in die Hände. Kickl sprach sogar von „Hochverrat“, sollte aber erklären, warum er als Möchtegern-“Volkskanzler“ (á la 1933) 82 Prozent des Volkes igno- riert, die für dieses Gesetz sind.
Denn die überwiegende Mehrheit in Österreich weiß, dass es mit unserer Natur trotz aller Schönheit unserer Landschaft nicht gut bestellt ist: ein Ausdruck dafür ist der drastische Rückgang der Insekten. Die wir aber brauchen, wollen wir nicht statt der Bienen in Zukunft die Bestäubungen selbst durchführen müssen. Oder wir sehen das Verschwinden vieler Feldvögel. Wir brauchen möglichst viele intakte Glieder in Ökosystemen, damit sie gerade im Klimawandel den absehbaren Herausforderungen gewachsen sind.
Es geht auch nicht um konkrete Maßnahmen, sondern es sollen nun Ziele und Pläne zur Wiederherstellung und Verbesserung verschiedener Ökosysteme, darunter Flüsse und Bäche, Wälder, Felder und Wiesen, aber auch Stadtgebieten aufgestellt werden. Wobei man ja nicht bei null anfangen muss. Andererseits weiß man vom Klimaschutz, dass Papier geduldig ist, und ferne Ziele hehr bleiben können.
Tausende Wissenschaftler:innen weisen nach, dass in diesem Bereich jede investierte Million einen zigfachen Verlust in der Zukunft verhindert. Im Kern geht es darum, dass der fortschreitende Verlust der biologischen Vielfalt die ökologische Stabilität und damit auch die Leistungsfähigkeit der Ökosysteme untergräbt. Es geht um die langfristige Fruchtbarkeit des Bodens, dessen Leben mit Chemikalien beeinträchtigt wurde.
Es geht darum, dass der Humus nach der Verdichtung über schwere Maschinen als Wasser- und (unterschätzter) CO2-Speicher wieder aufgebaut wird –übrigens die gescheiteste Art der CO2-Speicherung: „Ökosysteme sind Basis unserer Gesundheit. Wer wider aller wissenschaftlichen Erkenntnisse Renaturierungsmaßnahmen verhindert, hat die Gesundheit unserer Kinder und Kindeskinder am Gewissen“ (Hans-Peter Hutter, Umweltmediziner)
Wer zahlt schafft an; der ganze Agrarindustriekomplex ist ein wichtiger Finanzier der VP. Ob das Theater der VP letztlich nützen wird, ist aber mehr als unsicher, weil die (Groß) Bauern inzwischen auch in den Dörfern eigentlich nur mehr eine kleinere Minderheit sind. Sicher nützen wird es der FPÖ, die sich wieder als konsequent rückschrittlich darstellen kann.
Mit treuem Blick beschwören sie alle, dass sie ja sowieso sooo naturverbunden handeln, aber sie möchten es eben „freiwillig“ machen und nicht unter „Zwang“. – Ja, eh. Wie wär‘s, wenn man in der Straßenverkehrsordnung, den „Zwang“ zum Rechtsfahren auf Freiwilligkeit umstellen würde?
Ein Hintergrund für die künstliche Aufregung ist auch, dass der VP-Bauernbund seit Menschengedenken in der Landwirtschaftspolitik fast nach Belieben (auch im EU-Rahmen) schaltet und waltet, und dabei vor allem Milliarden verteilt. Die sind jetzt aus dem Häuschen, wenn es einmal ein bisschen anders sein sollte. Man hat den Eindruck, mit dem Sturm im Wasserglas soll auch ein abschreckendes Exempel statuiert werden, damit nie wieder jemand wagen sollte der vermeintlichen Erbpacht des NÖ-Bauernbunds auch nur zu nahe zu kommen.
Jedenfalls zeigt sich, dass die reaktionären Kräfte um VP, FP und Großbauern nicht nur sozial um Jahrzehnte zurück wollen, sondern auch unsere Natur nur als Goldesel betrachten, und glauben, dass eine ewige Schröpfung von Mensch und Natur möglich ist.
Josef Baum ist Ökonom und Geograph sowie Stadtrat in Purkersdorf (NÖ)