Almosen statt Rechtsanspruch?
Josef Stingl über Verteilungsproblematik und Sozialstaat
Österreich ist ein Sozialstaat. Nicht der perfekteste, aber immerhin wurde jahrzehntelang versucht, durch Umverteilung möglichst allen die Teilhabe an gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen zu gewährleisten. Dieses Handeln hat jahrzehntelang in Österreich auf die Erhaltung des sozialen Friedens abgezielt.
Jetzt stehen die Zeichen auf Null-Weiterentwicklung, Null-Ausbau und auch kein Halten des Ist-Zustandes. Geht es nach den Schwarztürkisen muss Schluss damit sein. Dieses Bild vermitteln zumindest die Wortspenden der schwarztürkisen Granden. Alles für Kapital und Profit lautet die „neue” Devise, für den Pöbel möglichst wenig Rechtsanspruch bestenfalls ein Almosen,
Arbeitsminister Martin Kocher beispielsweise macht gegen Teilzeitbeschäftigte scharf. Für ihn geht es nicht an, dass sie trotz verringerter Arbeitsleistungen hundertprozentigen Sozial-Rechtsanspruch haben: „Wenn Menschen weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen”, meinte er wörtlich. Dass viele der Betroffenen das Schicksal „Weniger Arbeitsstunden, weniger Lohn” nicht freiwillig ertragen, hat er ignoriert. Erst als ein Shitstorm über ihn hereinbrach, ruderte er etwas zurück.
(Alp)Traum Nehammer
Einen Monat später zelebrierte Bundeskanzler Karl Nehammer bei seiner Rede zur Nation seine Sozialvisionen. Er will nicht nur die Teilzeitkräfte, sondern alle Menschen, die noch nicht länger als fünf Jahre in Österreich leben, der halben Sozialleistungen berauben. Einen Rückpfiff seitens des Verfassungsgerichtshofs erwartet er nicht, denn im Gegensatz zur beanstandeten Familienbeihilfe gelte die Bestimmung ja diesmal nicht nur für Ausländer*innen, sondern für alle.
Auch beim Wohnen ein ähnliches Bild. Die Mietenbremse wird von den Schwarzen, insbesondere dem Kanzler abgelehnt. Wenn schon notwendig, dann lieber ein nicht nachhaltiges Almosen in Form einer Einmalzahlung aus dem allgemeinen Steuertopf. Das birgt den Vorteil, dass es sich “die Deppen” mit ihren Steuerleistungen selbst bezahlen und den Vermieter*innen mit der Gießkanne den Profit zum Sprießen bringt.
Gewerkschaften in Gefahr
Auch der neue IHS-Chef Holger Bonin ist nicht ohne. Er sieht zwar richtig, dass der Teuerung entgegengewirkt werden muss. Aber ja nicht mit staatlichen Markteingriffen, denn das wäre ein unmoralischer Eingriff in die freie Preisgestaltung. Wenn schon Eingriffe, dann lieber Eingriffe in die Lohnautonomie der Gewerkschaften. „Lohnzurückhaltung” ist laut Bonin oberstes Gebot.
Es gibt noch viele ähnliche Beispiele, die zeigen, dass die Umverteilung von oben nach unten zum Sozialausgleich immer rigoroser abgelehnt wird. Der Paradigmenwechsel wird auch dadurch deutlich, dass der schwarze Kanzler & Co. mit ihrem grünen Regierungsanhängsel über die Kürzung der Sozialleistungen diskutieren wollen, aber die Besteuerung von Vermögen und der Krisenprofiteur*innen keine Diskussion wert ist.
Internationale Beispiele erschreckend
Aber was heißt es, wenn man das Ende des Sozialstaates fertig denkt: Jeder Schicksalsschlag – wie der Verlust des Arbeitsplatzes oder eine Krankheit – würde die Existenz bedrohen und Einzelne im schlimmsten Fall zu einem Leben im Elend verurteilen. Dafür sprechen die Beispiele aus anderen Ländern, wo der Sozialstaat unter grausamen Konsequenzen zurückgefahren wurde.
In Griechenland haben sich als Folge der verordneten Sparpolitik die Depressionen verdoppelt. Die Selbstmordrate ist gestiegen, die Zahl der Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht und der Totgeburten ebenso. In England wirken heute noch die Folgen der Thatcher-Politik mit der de facto-Zerschlagung der Gewerkschaften und der radikalen Beschneidung des Sozialstaats nach. In Calton im schottischen Glasgow, wo die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch ist wie im Landesdurchschnitt, liegt die durchschnittliche Lebenserwartung nur mehr bei 54 Jahren.
Conclusio
Sei es nach einem Unfall, einer schweren Erkrankung, in der Schwangerschaft, bei Arbeitslosigkeit usw.: Nicht nur die Lohnabhängigen brauchen den Sozialstaat. Er mildert die soziale Ungleichheit ab. Der Sozialstaat gibt den Menschen, die in diesem Bereich leben, statt Almosen Rechte und Chancen – und dafür lohnt es sich zu kämpfen.